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SUMMER IN THE CITY

SUMMER IN THE CITY


Es hat 32 Grad im Zimmer und ich habe das Gefühl, alle paar Minuten einzuschlafen. Der Standventilator hätte schon einen Transatlantikflug hinter sich, wäre er ein Flugzeugpropeller. Mein Leben hat sich komplett in die Nachtzeit verlegt und ich begebe mich oft in mein Kellerstudio und spiele Klavier. Im August muß der Rohbau meiner zweiten Country-Blues CD fertig sein, egal wie. Das treibt an und ich liege nachts oft wach und versuche, mir Texte zusammenzubasteln.

Was gibt es Neues? Wäre ich der selige Heinz Conrads, fiele mir tausendfach Belangloses ein, aber auch im Leben eines Bluesmans tut sich einiges. Beginnen wir also erst einmal mit den schönen Überraschungen.
Vor ca. einem Jahr stellte mir mein Freund Busy Tom ein junges Mädchen vor, das mir durch ihr nettes Wesen auffiel. Sie schrieb nach ihren Angaben an einer Maturaarbeit in Musik und ich traute meinen Ohren nicht, als ich erfuhr, daß ihre Festschrift den Fachbereich BLUES behandelte.
So etwas ist fast nicht zu glauben. Man kann heute mit Blues in Musik maturieren. Das hätte es zu meiner Schulzeit nicht gegeben. Man sprach bis in die frühen 60er schwarzen Menschen generell die Fähigkeit zum formalen Musizieren ab. Schwarze, die sich abseits anerzogener europäischer Klassik musikalisch betätigten, wurden als unseriös gebrandmarkt, in verraucht-verrufene Jazzkeller verbannt, oder als vielbestaunte Anthropologie-Exponate der westlichen Musikkultur auf sogenannten Jazzfestivals ausgestellt.
Dann erkannten aber die ersten Jazzfreunde, daß der Blues keine Musik afrikanischer Urwaldprimaten war, sondern die Basiskultur amerikanischer Volkskunst bildete. Boogie-Woogie und Blues fanden ihren Weg aus dem Ghetto teilweise belächelter Unseriosität, was zumindest in unserem Lande meiner, Martin Pyrkers und Eric Trauners Arbeit zu verdanken ist.


Doch zurück zu dieser bestaunenswerten jungen Dame:
Sie heißt Madlene Therese Feyrer, kurz „Leni“ genannt und unterscheidet sich nicht sonderlich von andern Mädchen in ihrem Alter, doch zum Unterschied kann man mit ihr gute, sinnvolle Gespräche führen…vor allem über Blues, der Musik, die sie am meisten liebt. Normal nimmt man an, daß sie sich die volle Discopulle gibt und für Michael Jackson oder Michi Tschuggnall schwärmt. Dem ist glücklicherweise nicht so. Fazit: Es gibt offensichtlich doch junge Menschen, die gegen Formatradio und Ö3-Gehirnwäsche resistent und auf der Suche nach dem Echten sind. Das läßt leise hoffen, daß die coolen VIPs vom Hitradio endlich schnallen, daß ihr Allerweltsargument „Das interessiert die Kids nicht“, purer Bullshit ist. Übrigens habe ich schon von Kindern Fanpost bekommen. Das beweist, daß wenn man den „Kids“ auch anderwertige Information zukommen läßt, sie entsprechende Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung haben, aber daran ist die Unterhaltungsindustrie aus Gründen der geschmacklichen Gleichschaltung nicht interessiert.
Jedenfalls hat die liebe Leni ihre Matura mit Auszeichnung abgeschlossen und ich half ihr noch, bei der Prüfungskommission mit einem Liedchen guten Eindruck zu hinterlassen.

Die zweite Geschichte besteht aus einer kleinen Buchbesprechung, die ein gelungenes Standardwerk über die Story des Blues behandelt.
Wenn ich den Namen „Rolling Stones“ höre, lese, oder anderwertig über ihn stolpere, springt mir meine Bypassnarbe auf und der Tag ist gelaufen. Doch eines Tages, als ich bei Johnny Parth (Document Records) zu Gast war, kamen wir auf den Kundenstock seines Labels zu sprechen und er bemerkte so nebenbei, daß Bill Wyman, der Exbassist obgenannter Band, einer von Johnny’s besten Kunden ist. Um Gottes und aller Engel willen, was fängt ein „Stone“ mit Document CDs an. Zwischen „Satisfaction“ und Jeffersons oder Pattons Musik kreisen Galaxien. Während Johnny mich zu seinem Bücherregal führte, fiel mir ein, daß Bill Wyman Mick Jagger und seiner Krawallpartie den Dienst quittiert hatte, um seine eigene Musik zu machen, aber was solls….
Johnny Parth zog ein schweres und aufwendig gestaltetes Buch aus dem Regal und zeigte es mir. Der Titel war „Blues Odyssey“ und ich begann darin zu blättern. Bisher hatte ich Larry Cohn’s Standardwerk „Nothing But The Blues“ favorisiert, aber Bill Wyman’s Buch stand da keineswegs nach. Es ist nicht nur informativ und auch für den Nichtfachmann spannend geschrieben, das Bildmaterial ist einfach gigantisch. Viele Bilder, die ich nur von verwaschenen, grobgerasterten Drittkopien kenne, sind fast gestochen reproduziert und die Koloration von Blind Lemon Jeffersons berühmtem Portrait macht so einen authentischen Eindruck, der die Vermutung zuläßt, daß er tatsächlich so ausgesehen hat. Wenn etwas gut gemacht ist, ist es gut und das Buch ist großartig. Gleich, ob man es als vernachlässigbaren Wermutstropfen betrachtet oder nicht, man kommt kaum an den Stones und den Rest der „British Blues Connection“ vorbei, aber Bill verarbeitet die Sache so geschickt, daß sie nicht stört. Er beschreibt genau, wie der Blues über die Claptons, Korners, Mayalls und Gallaghers nach Europa kam. Wenn diese Leutchen solch gigantische Bluesfans waren oder noch sind, warum haben sie diese schöne Musik durch teilweise gräßliche Rockversionen so fürchterlich entstellt ?? Ihr braucht nicht lange nachzudenken, die Antwort heißt Zeitgeistopportunismus und Showbiz. Nach eigenen Angaben ist Bill Wyman aus nur allzu verständlichen Gründen ausgestiegen. Er hatte den Krach und Jaggers Egomanentum satt. Aber ich will mich hier nicht wieder mit Kritisiererei in Teufels Küche bringen. Das Popbiz ist nicht mein Fach und ich mache mir das Heer der Stones-Anbeter nur zum Feind, also Schwamm drüber.


Tatsache ist, daß ich dieses Buch wirklich jedem empfehlen kann, der sich über den Blues auf seriöser Basis informieren will. Es wird nicht nur das Märchen von Robert Johnsons Tod in Frage gestellt, sondern auch die weiße Spielart des Country-Blues behandelt. Sogar die anfänglich starke Bindung Elvis Presleys zum Blues wird verdeutlicht. Vor allem die Flut an interessanten Fotos sagt mehr als tausend Worte. Vor allem sagen sie dem Betrachter, daß die Bluesmen and Women keineswegs wie abgefuckte Junkies oder ausgeflippte Pop-Papageien aussahen. Kaum verdienten sie sich mit Plattenaufnahmen ihre ersten Greenbacks, legten sie ihren zerschlissenen Overall ab und panierten sich erst einmal mit feinem Sonntagsstaat ein. Thomas Shaw, der Blind Lemon Jefferson persönlich kannte, sagte: „He wore pretty loud and fancy threads, looked like no farmer. Both, black and white folks was waiting for him to play, blocked all the road when he performed.“
Also all jene, die mich wegen Anzug und Krawatte einen „Scheißkapitalisten“ nennen, – so geschehen 1978 bei einer Folkveranstaltung in Krems – mögen sich erst einmal die Galerie historischer Blueskünstler ansehen.
Damit wäre auch dieser Punkt abgehandelt.

Bezüglich der Planung einer neuen CD möchte ich mein heuriges Projekt kurz erläutern.
Der Arbeitstitel heißt „THE BIRMINGHAM JAM“ The Country Blues, Part 2. Geplant ist eine dreiteilige Konzeptplatte, deren ersten Teil ich wieder mit den Gästen meines vorangegangenen Country-Blues Albums gestalten werde. Wenn geht, habe ich vor, noch Siggi Fassl und den „Vierer“ (Chris Peterka) an der Session zu beteiligen.


Den ersten Teil der CD bildet die „Birmingham Jam“, eine auf Sessionbasis präsentierte Vorstellung meiner Gastmusiker, die mit je einer Nummer, von mir begleitet, vertreten sein werden. Die Idee zu dieser Jamsession geht auf die legendären Aufnahmen der Paramount All Stars zurück, die 1930 unter dem Titel „Home Town Skiffle“ eine gelungene House-Rent Party Atmosphäre produzierten. Der Vaudeville-Blues Star Jim Jackson hatte bereits 1929 mit „Jim Jackson’s Jamboree“ die gleiche Idee. Liebhaber des klassischen Country-Blues werden diese Aufnahmen kennen.
Der zweite Teil zeigt mich wieder im Genre des Cottonfield-Blues, der sich dann über Muddy Waters ähnliche Nummern zum frühen Arthur Crudup durcharbeitet. Harp, Fiedel, Jug, Washboard und natürlich Stephan Rausch mit seiner Harp werden wieder dabei sein. Mal sehen, was entsteht. Ich nehme mir jedenfalls nichts vor, denn der Blues entsteht eben, oder nicht. Glücklicherweise kann ich mir soetwas leisten.
Teil drei ist ein persönliches  Anliegen. Seit ich mein kleines Studio habe, sitze ich jeden Tag am Klavier und spiele mich mit schrägem St.Louis Blues (so die Bezeichnung des Piano Stils) in „Trance“. In diesem Zustand weiß ich nicht mehr genau wo ich hingreife, aber es klingt irgendwie nach Roosevelt Sykes oder dessen Lehrer Lee Green. Henry Brown, Peetie Wheatstraw und der verrückte 44 Charlie Taylor mit seinem chaotischen Baßgerumpel haben es mir angetan. Weitere Favoriten sind Barrelhousepianist Speckled Red und der unnachahmliche Skip James, wenn er die Tasten stürmte. Während sich unsere Pianisten hauptsächlich am Boogie-Woogie Dreigestirn Ammons-Lewis-Johnson wegen deren publikumswirksameren Stil orientierten, gab es für mich keinen Pianisten, der individualistisch genug war. Zwar beschränkt sich meine Kenntnis der Tastatur auf die höchst ungebräuchliche E-Dur, aber ich kompensiere dieses Handicap mit unberechenbarer Spontanität.


Vielleicht werde ich von sturen Piano-Freaks bemeckert, weil sie mich nur als Gitarristen im Delta-Stil akzeptieren, aber mir macht das Piano eben riesige Freude und seien wir mal ehrlich, wer spielt ohne jedwede Ahnung und Ausbildung  so drauflos ? Wem es also gefällt, der erfreue sich daran. Übrigens, Gitarre habe ich auch nie gelernt.
Nächstes und übernächstes Jahr bin ich mit der Aufarbeitung meiner Geschichte befaßt. 40 Jahre Bühne und 60. Geburtstag. Da kommt viel Arbeit auf mich zu.
Cooksie reitet also wieder.

Sicher gibt es auch nicht so erfreuliches zu berichten, aber Probleme sind da, um gelöst oder umgangen, bzw. ignoriert zu werden.
Neue Veranstalter, neues Publikum und eine oft unwissende Masse, die von den gleichgeschalteten Medien programmiert werden, machen es mir oft schwer, eine Kommunikationsbasis aufzubauen, weil mein Name außerhalb der Insiderszene nicht mehr entsprechend weitergetragen wurde. Die drei K’s, Kunst, Können und kommerzielle Auswertung sind seit langem keine Einheit mehr. Vielleicht fällt einmal einem ORF-Gewaltigen eine Bluesmania ein, damit Pepi Normalverbraucher endlich spannt, daß es außer Niddl, Tschuggi und Co. noch was gibt, das in der Populärkultur seinen Platz haben sollte. Ich war einst Teil dieser Szene und das lasse ich mir auf keinen Fall nehmen.

                                        Euer AL COOK                                 © Al Cook  2003