Al Cook



Cotton Termine
Cotton Booking
Cotton Diskographie
Cotton Chronik
Cotton Autobiographie
Cotton Blueskitchen
Cotton Pressetext
Cotton
Impressum
Cotton Home

BLUES UND SEX

Eine ethnologische Studie – © by Al Cook 2003

BLUES UND SEX

Wer sich jetzt einen Baumwollporno mit Gitarrenbegleitung erwartet, sollte sich lieber in den entsprechenden Internetseiten umsehen. In dieser Folge möchte ich viele Irrtümer, die schwarzer Erotik im Vergleich zur weißen Gesellschaft anhängen, aufklären.
Mit dem Einfließen Afro-Amerikanischer Elemente in die weiße Alltagskultur und der folgenschweren Amerikanisierung  der Abendländisch-Europäischen Moralvorstellungen erwies es sich nur als logisch, daß es zu Reibereien zwischen derartig unterschiedlichen Systemen kommen würde. Bereits im Ursprungsland Amerika gab es nach dem Zusammenbruch der Segregation durch die frühe Rock’n’Roll Kultur schlimmste Kontroversen, die sich durch das unmittelbare Aufprallen scheinbar lockerer Sitten auf die puritanische Welt sektiererischer weißer Südstaatler entluden. Selbst mittelständische Schwarze versuchten krampfhaft, das afrikanische Erbe abzuschütteln, verteufelten das Bild des hemmungslosen „Buck Niggers“, des ewig geilen „Niggerbocks“, der bindungsunfähig, alles was eine Schürze anhat, flachzulegen. Bei den Weißen war es der ewige Penisneid-Komplex, der die Vorstellung nährte, daß Schwarze über grenzenlos unermüdliche Potenz verfügen, die den weißen Mann auf den letzten Platz verweisen. Ebensolche Schwachheiten dichtet man den farbigen Frauen an. Sie seien leicht zu haben, unersättlich und auch perversen Spielchen nicht abgeneigt zu sein, von weißen Männern nicht viel halten und wenn nötig, aus materialistischen Motiven bereitwillig ihren Körper verkaufen.
Unser abendländisch-christliches und vor allem katholisches Weltbild hat mit Erotik und Sexualität schon immer Probleme gehabt. Die katholischen Ethik- und Moralvorstellungen stellen bereits den Sexualtrieb an sich als ewig mit Erbsündcharakter behaftetes Phänomen dar. Warum mußte die Existenz Christi unbedigt einer unbefleckten Jungfrauengeburt zugeschrieben werden ? Nun, Gottes Sohn konnte doch nicht durch die menschliche Lust gezeugt worden sein, wo kämen wir denn da hin. Doch warum ist gerade unsere Religion so körperfeindlich. Selbst das Judentum, aus dem unser christliche Glaube hervorgeht, kennt den verheirateten Rabbi und die alttestamentarischen Erzväter waren noch der Polygamie verhaftet, die es im Orient und in der Bruderreligion des Islam heute noch gibt. Offensichtlich stammt die Sexualfeindlichkeit vom Apostel Paulus, der ein kleiner, häßlicher, rothaariger neurotischer Frauenfeind und Choleriker war. (Zitat: „In der Kirche hat das Weib zu schweigen!“). Den Höhepunkt solcher Prüderie aber erreichte diese Moral unter der Wilhelminisch-Josefinisch-Viktorianischen Herrschaft, die mit Ende des Ersten Weltkrieges langsam dem Zerfall entgegenging. Und die fällt mit der Entstehung der modernen Afro-Amerikanischen Gesellschaftsentwicklung zusammen und deren musikkulturellen Ausdruck kennt man heutzutage als Blues.



Naturvölker haben aus ihrer Lebensweise heraus einen unschuldigeren und daher ungezwungeneren Umgang mit vielen Dingen des täglichen Lebens. Den Nimbus der Schmutzigkeit erhielt der Sex erst durch die verdreckte Erbschuld-Philosophie der katholischen Kirche, deren irreale und fragwürdige Moralgesetze somanchem jungen Mädchen nur mehr den Gang ins Wasser als einzige Alternativlösung übrig ließ. Hatte ich in früheren Ausführungen über die offenere und unbelastetere Problembehandlung gesprochen, behandle ich diesmal das Gebiet der Erotik und Sexualität.
Der Prüderie der Fünfziger folgte die völlig falsch verstandene Freidenkerei der sexuellen Revolution der Sechziger und Siebziger. Freiheit verwechselt man seither mit dem Ausleben von Egoismus und Perversion, ohne daß auf den Nächsten Rücksicht genommen werden muß. Das Ergebnis sind das globalisierte AIDS-Problem und das Zerfallen natürlicher Moral-und Familienstrukturen was oft in erhöhter Gewaltbereitschaft ausartet. Naturvölker leben sehr wohl in genau definierten ethischen Grenzen, die durch überlieferte Stammesgesetze das Zusammenleben im Gral regeln. Oft hat der Häuptling das alleinige Recht der Defloration und bei Eheproblemen das letzte Wort. Es gibt außerhalb unserer westlichen Welt noch Kinderehen die von den beiden Elternteilen gestiftet werden und sobald das Mädchen geschlechtsreif ist, wird Nachkommenschaft gezeugt. Das hat mit Babysex absolut nichts zu tun, denn bei der geringen Lebenserwartung nomadisierender Jäger und Sammler war man mit 30 alt, oder wurde Opfer darwinistischer Naturgesetze und von einem jüngeren und stärkeren Rivalen vertrieben.
All diese Gegebenheiten gruben sich seit Jahrtausenden in den Gencode der Afrikanischen Urbevölkerung ein. Plötzlich verschleppte man wahllos ganze Stämme in die Sklaverei und verbrachte sie tausende Kilometer in ein fremdes Land, in dem sie von Fremden auseinandergerissen und wie Vieh weiterverkauft wurden. Die weißen Herren zerstörten Stammesstrukturen, um die Bildung gefährlicher Kommunikationssysteme zu verhindern. Dadurch waren die Sklaven besser zu lenken, was zur Folge hatte, daß sie den Instinkt zur Familienbildung verloren. Männlichen Sklaven wurden die Frauen vom Plantagenbesitzer wie Kühe zur Besamung zugetrieben. Man brauchte schwarze Gebärmaschinen, um den Personalstand aufzustocken. Es entwickelte sich unter den Farbigen eine Art strenges Kastensystem, das auf die zu erreichende Position in der Dienerhierarchie ausgerichtet war. Oft und oft ließ der „Massa“, wie der Herr genannt wurde, seine halbwüchsigen Söhne an jungen Sklavinnen „üben“ und so entstanden Mulatten, Yallers und High Yallers, wenn man die Kinder dieser bedauernswerten Frauen weiter mit Weißen „kreuzte“. Der kastenhafte Schattierungsrassismus in der schwarzen Gesellschaft ist auch heutzutage noch spürbar.


Nach der Befreiung der Schwarzen am Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges im April 1865 begann das Zeitalter der Restauration und Emanzipation. Viele Sklaven, die auf den Plantagen Substrukturen quasifamiliärer Art entwickelt hatten, zerstreuten sich in alle Winde und waren ständig auf der Suche nach einem besseren Platz zum Leben. Der Rest blieb im Süden und versuchte, sich mit „Sharecropping“, einer Art selbstmörderischen Pächterdaseins, eine Existenzgrundlage zu schaffen. Nun sorgte nicht mehr der „Massa“ für die Verköstigung seiner Sklaven, jetzt mußte der Pächter eine vom Grundeigner vorgestreckte Summe durch die Ernte einbringen. Das hört sich wie möglicher Restgewinn nach Kredittilgung an, doch die Praxis sah anders aus, denn fallende Baumwollpreise und vor allem der Baumwollkäfer, Bo Weavil genannt, brachten den schwarzen Pächter durch die daraus resultierende finanzielle Kompensationsunfähigkeit in eine Art Schuldspirale und der Sklaverei folgte eine Art lebenslange Leibeigenschaft. Die Frau rackerte sich an der ständig wachsenden Zahl der Kinder ab, während der Mann noch einen Nebenjob in einer Sägemühle annehmen mußte und zerschlagen nach Hause kam. Samstag Abends gab es ein bißchen Geld und das wurde dann im Barrelhouse versoffen oder beim Crap-Game verspielt. Was dann kam, ist als immergrüne Textvorlage für hunderte von Blueskompositionen bekannt. War die Frau jung und noch knackig, hatte sie ihren Backdoor Man, der es ihr beim Kochen besorgte, oder sie war, wie Roosevelt Sykes sang, „a good kitchen mechanic“. Auch der „butcher“, der etwas von den „hams“ verstand und ein guter „meat cutter“ war, kam oft scheinbar unverhofft durch die Hintertür. Der Mann, dessen Frau oft nicht mehr so attraktiv, also kein „Barbecue“ war, versuchte sich gegenüber der Weiblichkeit prahlerisch als Daddy Stovepipe, Papa Longtime, Groundhog, Rooster oder Honeydripper darzustellen. Die für unsere Ohren oft aufdringliche Sex-und Potenzprotzerei der Schwarzen hat uns zu unserem Penisneid noch Furcht vor ihrer tierischen Erotik eingeflößt. Andererseits ist es gerade das Animalische und offen Ungehemmte, das weiße Frauen oft unwiderstehlich stimuliert. Solch ein Verhalten ist auf Europide Rassen einfach nicht übertragbar, der wer käme bei unseren Frauen schon an, wenn er sich als Papa Ofenrohr, Erdferkel, Saubär, Geiler Hahn oder Honigspritze bezeichnen würde.


Das übertriebene Schaustellen sexueller Attribute und Komponenten ist in ur-afrikanischen Stammesriten zu suchen. In einer Gesellschaft, die zu 90 bis 99 Prozent unbekleidet herumläuft, ist ein nackter Mensch nichts Ungewöhnliches. Man muß sich schon ein wenig anstrengen, um das Paarungsritual einzuleiten. Die diversen Fruchtbarkeitstänze und Körperbewegungen, die man von Urwald und Steppe her kennt, waren keineswegs obszön gemeint, sondern von der Natur für die Erhaltung der Art eingesetzt. Auch die Beckenanatomie schwarzer Naturvölker unterschied sich von der der Weißen. Die Hüftgelenke der Afrikaner liegen in höher angelegten Pfannen und etwas anderem Ansatzwinkel, während die Wadenmuskulatur sich von unserer durch eher litzenartig gewachsene Muskelstränge unterschied. Beim Jagen in der Savanne riß oft ein Muskel und der Jäger konnte mit den übrigen weiterlaufen. Diese Anatomie erklärt die variationsreichere Bewegungsfähigkeit Schwarzer und deren erfolgreicheren Fluchtversuche vor den Bluthunden diverser Südstaatensherrifs. Mit der Zeit aber mutierte der Körperbau immer mehr in Richtung westlicher Schönheitsideale.
Die nach 1865 freigelassenen Sklaven, die bis dahin noch mit ihren kulturellen Afrikanismen lebten, waren plötzlich gezwungen, sich in der puritanischen Welt der Weißen zurechtzufinden. Vorerst wurden sie von den Weißen klar auf ihren Platz in der Gesellschaft verwiesen. Ihr Tun, ihre Musik und ihr Verhalten erhielten von nun an den Stempel der gottlosen Amoral. Weiße Prediger und Priester im Bible Belt Country behaupteten, es sei gottgewollt, diese „Missing Links“ zwischen Primaten und dem Menschen zu domestizieren und als eine Art Nutzmenschen zu betrachten. Auf dem Sklavenmarkt ging es oft zu wie bei einer Viehauktion. Man überzeugte sich von gutem Gebiß und Zeugungs-bzw. Trächtigkeitsvermögen. Jahrhundertelang als humanoide Arbeitstiere und Zuchtobjekte betrachtet, hatten die Schwarzen nur zu arbeiten und in ihrer Freizeit Junge zu zeugen. Nach der Befreiung verstreuten sich heimatlos gewordenen Ex-Sklaven über das ganze Staatengebiet der USA, wo sie natürlich in häufigeren Kontakt mit der weißen Bevölkerung kamen. Plötzlich sah man die Jugend gefährdet, die weiße Unschuld weißer Frauen bedroht und jedwedes Verbrechen wurde, wenn möglich dem Schwarzen Mann angedichtet. Der Ku Klux Klan sollte die Ausbreitung schwarzer Kultur, deren Integration und Rechtskonsolidierung verhindern. Noch 1963, als Martin Luther King den Bürger-und Wahlrechtsmarsch auf Washington organisierte, wurden in Birmingham, Alabama dessen Teilnehmer von der rassistischen Polizei verprügelt und eingelocht.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts, das mehr gesellschaftliche Veränderungen hervorbrachte, als die Jahrhunderte zuvor, entstand der Blues, die essentielle Musik der westlichen Unterhaltungskultur und dessen Derivate, die schlußendlich zur Rock’n’Roll Revolution der 50er führten.



Doch nun wieder zum Blues.
Die Welt der Schwarzen war und ist teilweise heute noch durch harten Existenzkampf bestimmt und der bestimmte auch das Zusammenleben im Alltag. Es herrschten zeitweilig darwinistische Zustände, an denen Familien von einem Tag zum anderen zerbrachen. Am Lande, wo schöne, oder attraktive Menschen eher die Ausnahme von der Regel waren , hatten Ehe-oder Lebenspartner oft hart zu kämpfen, den Anderen bei der Stange zu halten. Die oft alttestamentarische Erziehung der Sklaven führte zu einer patriarchalischen Gesellschaft, in der die Frau oft auf ihren Ernährer angewiesen war und ständig von ihm betrogen und für alle Arten von Familienproblemen verantwortlich gemacht und verprügelt wurde. Die meisten Männer waren oft noch schwere Alkoholiker, die den sowieso schon kargen Lohn in billgen Fusel verwandelten, um aus der Realität zu flüchten. Fremdgehen kostete oft auch genug, wenn’s auch eine 50 Cent Hure war, wo man seinen Überdruck loswerden konnte. Doch ohne Geld gab’s kein Essen und oft drehte man der armen Frau auch noch die Energie ab und das armselige Mahl war dann auch noch kalt. Um vom stockbesoffenen Mann nicht verprügelt zu werden, bezahlte sie den Gasmann mit Sex. (Mae Glover und John Byrd, „Gas Man Blues“) Doch dessen Gunst war nur so lange zu halten, als noch ein Funken Attraktivität in ihrem Körper war. Mit 30 waren diese „Country Girls“ alte, verbrauchte, von den Strapazen einer solchen Ehe gezeichnete Weiberln, die jederzeit Gefahr liefen, mitsamt ihren Kindern auf die Straße gesetzt zu werden. Wenn der Mann durch Betrug beim Spiel oder durch andere krumme Geschäfte zu Geld kam, meldeten sich bald die „Big Fat Mamas“ oder er konnte sich einen „Yellow Flapper“ leisten. Die Figur der Big Fat Mama ist dem oriental-afrikanischen Schönheitsideal entlehnt. Damit war keineswegs eine formlose und anerotisch-fettleibige Frau gemeint, sondern eher eine große, deren weibliche Kurven bis an die Grenze der Erträglichkeit ausgebildet waren. Großer, schwingender Busen, ausgebildeter Bauchtänzerinnen-Hüftspeck, breit ausladende, gebärfreudige Hüften, massiv-pralle Schenkel, große Füße und einen provokativ aufreizenden Gang. Tommy Johnson besang diesen Frauentyp folgenderart: „Big Fat Mama, meat shakin‘ on her bones and everytime she shake it, some skinny girl goin‘ lose the home“. Blind Lemon Jefferson singt von einer „Heavy Hip Mama“, die die Männer so lange ausnahm, bis ihr alles in der Nachbarschaft gehörte, während Ed Bell, ein Alabama-Bluesman von einer Frau berichtet: „She makes the blind man see and the dumb man call his name“. Auch Prediger und Geistliche waren vor der Unwiderstehlichkeit stramm-üppiger Weiblichkeit nicht gefeit: „She makes the preacher put his bible down“ und Son House sang: „I got me religion on this very day, but womens and whisky would’nt let me pray“.


1929 drehte man den Klassiker „Hallelujah“, der diese Problematik in einfachen Bildern dramatisierte. Man konnte in Nebenrollen die Bluessängerin Victoria Spivey, sowie ihre männlichen Kollegen Gus Cannon und Jim Jackson sehen. Der Film beschreibt, wie ein Farmarbeiter einem „Flapper“, also einem liederlichen jungen Mädchen verfällt, um den Ernteertrag beim Dirty Crap betrogen wird und im Zuge einer Schießerei mit dem Zuhälter irrtümlich seinen Bruder erschießt, der ihn sucht. Nach einer nur kurzen Sequenz als Sträfling in einem Steinbruch kehrt er zur Familie zurück und heiratet, wird fromm und startet eine Predigerkarriere. Doch das Mädchen hofft mit seiner Hilfe von ihrem Zuhälter loszukommen. Mit rustikal-erotischer Taktik zieht sie den fast infantil wirkenden Prediger unbarmherzig in ihren Bann. Er verläßt Frau und Familie, um mit dieser berechnenden Schlampe zusammenzuleben. Während er sich im Sägewerk für sie abarbeitet, taucht der Zuhälter wieder auf, dem sie bald wieder verfällt. Sie verläßt ihren Mann, während dieser vor Müdigkeit am Küchentisch einschläft und entflieht mit ihrem „Backdoor Man“ durch die Hintertür. Als der Ehemann erwacht, verfolgt er die Beiden, wild um sich schießend durch den nächtlichen Wald und trifft das Mädchen tödlich. Später erwischt er auch den Zuhälter und erwürgt ihn. Reuemütig kehrt er wieder zu seiner Familie zurück und gelobt, von nun an anständig zu leben.
Der Film zeigt für heutige Verhältnisse sehr theatralisch dargestellte, simplifizierte Verhaltensmuster, die die moralische Labilität der Schwarzen in klarer gut-böse Manier darstellt. Das teilweise infantil-pubertär dargestellte Verhalten farbiger Menschen in den Produkten der weißen Filmindustrie war eine totale Mißinterpretation einer weit intensiver und simplifiziert erlebten Gefühlswelt. Wir lernen bereits von Kind an, unsere Triebe und Gefühlsregungen einer Contenance-Gesellschaft unterzuordnen. Gefühle zu zeigen ist in unserer Spaßgesellschaft nicht nur verpönt, sondern auch unfein und peinlich.
Die zweite Spielart der Weiblichkeit, die sich dem patriarchalischen Lustprinzip entziehen konnte, war der bereits erwähnte „Flapper“. Dieser Ausdruck starb mit Beginn der 40er aus. Er beschrieb ein „flapsiges“, also freches Mädchen im Teenageralter, das sich seiner knospenden Weiblichkeit und deren Wirkung auf oft ältere Männer wohl bewußt war und diese Waffe scham- und skrupellos einsetzte. Sie waren keineswegs die bedauernswerten Prostituierten, die ihrem Zuhälter hörig und gefügig gemacht, Tag und Nacht am Straßenstrich verbringen mußten. Der Flapper ging in keine Abhängigkeiten ein und behielt das Geld für sich. Sie war keine Prostituierte im eigentlichen Sinn, auch wenn sie von Kurzaffären mit diversen Männern ihrer Wahl lebte. In jeder Gesellschaft gibt es Frauen, die es sich im Leben irgendwie richten können. Selbst in der puritanischen und partriachalischen Ära des 19. Jahrhunderts gab es genug Mädchen, die wußten was sie wollten. Offensichtlich war meine Urgroßmutter selig, auch ein solches Flittchen.



Doch zurück zur Blueskultur.
„Wild Women Don’t Have The Blues“, heißt der Titel einer Nummer, die die Begegnung der dritten Art beschreibt. Manche Frauen waren genetisch so gestrickt, daß sie sich von Männern überhaupt nichts gefallen ließen, sich ihre Sexual-und Lebenspartner selbst aussuchten und ihnen nicht selten mit dem Rasiermesser Mores beibrachten. Charley Patton, der Pionier des Delta-Blues verdrosch seine Gefährtinnen regelmäßig mit dem Hosenriemen, oder zerschlug seine Gitarre auf ihren Köpfen, wenn er vom „Jake“, einem Todesfusel von dem die meisten blind wurden, stockbesoffen nach Hause kam. Bertha Lee, seine letzte von acht „Ehefrauen“ war 16 als er sie mit Mitte 40 kennenlernte. Wollte er sie schlagen, warf sie ihn zu Boden und würgte ihn, bis er blau war. Charley schrie nach Son House, der die Rasende von ihrem Opfer losriß. Die Lebensgemeinschaft der Pattons konnte man nur mit einem Filmtitel beschreiben: Sie küßten und sie schlugen sich. Doch so etwas kommt nicht nur bei Schwarzen vor.
Sexuelle Hörigkeit war oft Gegenstand klassischer Bluesnummern. Ich nenne es das Honeydripper-Syndrom. Edith Johnson, eine berühmte Figur aus der St. Louis-Szene sang zur Pianobegleitung von Roosevelt Sykes den Honeydripper Blues. „I wake up in the mornin‘, with the risin‘ sun. I think about my honeydripper and the dirty things he’d done“. Er behandelt sie gemein, kommt nur manchmal vorbei, um sich an ihr abzureagieren, aber wenn er sie mit mit seiner Honigspritze bearbeitet, vergißt sie all die Dinge, die er ihr angetan hat. Der Original Honeydripper war Roosevelt Sykes. Man nannte ihn Papa Low, weil den Gespielinnen seine Zungenarbeit offensichtlich unvergeßlich war. Ich lernte Roosevelt erst im Mai 1974 kennen, aber seine dreckigen Witze, über die er laut schallend am meisten lachte, zeugten von einem offensichtlich wilden Casanovadasein. Ein Bild, das ihn mit 23 zeigt, stellt einen gut angezogenen, Gamaschen tragenden Mann dar, der eine Zigarre hält, wohl wie 40 aussieht, aber einen gepflegten seriösen Eindruck macht. Seine Gesichtszüge haben fast nichts negroides. Er sieht eher wie ein Hawaiianer oder Japaner aus, der sich in einem amerikanischen Kaufhaus eingekleidet hat. Als ich ihn kennenlernte, sah er ein wenig wie ein Sumo-Ringer oder ein Ho-Tai aus, dessen Haut kupferfarben und mit Altersflecken übersät war, die wie Sommersprossen den ganzen Körper bedeckten. Roosevelt war intelligent und vor allem geschäftstüchtig. Vielleicht reizte das die Frauen innerhalb seiner Sozietät.


Die manchmal respektlosen Bezeichnungen, die man Frauen zudachte, hatten oft mit ihrer Stellung in der ländlichen Gesellschaftsstruktur zu tun und waren nicht immer abwertend gemeint. Beginnt man mit der „Milkcow“, wie sie durch Kokomo Arnold, Big Bill Broonzy, oder Son House besungen wird, beschreibt durchaus eine Art von existentieller Wichtigkeit. „…ain’t had no milk an butter, since my cow been gone“, oder „…if you see my milkcow, please drive her home“. Milk and Butter konnte eine Sexmetapher sein, aber auch Liebe und persönliche Obsorge. Doch es hieß auch „Strange bull in the pasture.“, wenn Gefahr von einem Rivalen drohte, oder die Angetraute im Verdacht stand, fremdzugehen. Ehemuffel, die sich bloß auf den Genuß erotischer Abenteuer beschränken wollten, meinten lakonisch: „Why buy a cow, if I can get milk under the fence“. Frauen, die eher nymphomanischen Charakter hatten, waren bloß „Pigmeat“, Schweinefleisch. Aber was bedeutete die „Pigmeat Mama“ bei Blind Lemon, wenn er sang:“ I got a call this mornin‘, my pigmeat mama was dead.“ Lemon ruft den Doktor, aber der sagt, daß sein Pigmeat ganz gesund sei, aber „…she done gone dead on you“, also ihre Liebe war gestorben. In einem anderen Lied stellt Blind Lemon fest:“ I love my baby, just like a farmer loves his jersey cow…“, wohl eine Reizzeile für moderne Emanzen. Wer setzt da eine Kuh mit dem Wert und der Würde einer Frau gleich. Die Kuh war oft das Einzige, was ein armer Pächter besaß und eine Frau war oft leichter zu bekommen, als eine Kuh. Ob es Liebe im höheren Sinne gab, kann ich nicht sagen, denn das Leben war für die Schwarzen so hart, daß sie mit dem Existenzkampf und dem Damoklesschwert des Rassismus soviel Probleme hatten, daß der Alltag nur rudimentäres Denken zuließ. Waren doch die meisten Schwarzen auch noch Analphabeten, weil sie anstatt in die Schule, aufs Feld gehen mußten. Also wie konnte man der Armut und dem Elend der Share-Crop Pächterei entgehen. Viele Farmer und Bluessänger nahmen ihre Frauen in ländliche Großstädte wie St. Louis oder Memphis mit und zwangen sie zur Prostitution, um das magere Musikersalär aufzubessern. Aus den Cows wurden plötzlich Ponies und Racehorses, also Pferdchen. Son House sang: „I went to the racetrack, to see my Pony run, oh she’s runnin‘ son of a gun“, während Charley Pattons Pony „..already trained“, also bereits abgerichtet war. Man straffte die Zügel, das hieß, man nahm sie hart ran, damit sie auf dem Strich mehr Kohle machte, um dem Freund und Zuhälter sein „City-Life“ zu finanzieren. „I can’t use no woman, makes only 15 cents a day“ singt Roosevelt Sykes, für dessen Honeydripperei sicher ein paar Ponies auf den Racetrack gingen.



In der Großstadt aber verlor der archaisch-ländliche Sex endgültig seine afrikanische Unschuld.
Für einfache Landeier, die gewohnt waren, ihr Leben zwischen Baumwollfeld, Saustall und armseligsten Hütten zu verbringen, waren die Verlockungen selbst der provinziellsten Kleinstädte ein Erlebnis. In den Auslagen gab’s extravagante Kleidung und falschen Schmuck, den man den Einfaltspinseln vom Feld als echt anpries und teuer verkaufte. Tausende von Existenzen gingen an primitivem Materialismus und flashiger Schmuddelprostitution zu Grunde. Man besuchte abgefuckte Kaschemmen, deren Angebot an Liebesdienerinnen nur bei Rotlicht zu ertragen war. Hier waren sie zu Hause, die Musiker, die wir so bewundern. Die Brothel-Pianisten mit ihren eindeutigen Texten, die Tanzgitarristen, die stundenlang Breakdowns spielten, wie ihre ärmeren Kollegen in den Terpentincamps. Man bertrank sich, packte sich etwas Weibliches und verschwand nach oben. Wenn das Geld nicht mehr reichte, wurde man von der Puffmutter oder einem dicken Gorilla auf die Straße gesetzt. Denjenigen, die sich dem Stadtleben anpassen konnten, waren die armen Landeier auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Da sie aus Informationsmangel desorientiert und dumm erschienen, waren sie gern gesehene Opfer von Kleinkriminellen und „Crooks“, also bauernschlauen Gaunern. Die betätigten sich oft als sogenannte „Policy Writer“. Policy war eine Art Glücksrad, das wie Zahlenlotto funktionierte. Wenn Ziehung war, gab’s für einige Glückliche etwas Geld. Die Gaunerei an der Sache war die, daß sich diese „Writer“ naive Glücksjäger aussuchten, denen sie glauben machten, sie wüßten welche Nummern zum Zuge kommen würden und dafür Vorkassa oder Provision verlangten. Genügt es, wenn der Bluespianist Cripple Clarence Lofton singt:“ If I don’t get policy, I kill every writer I see“ und „…none of these numbers came out tonight.“ Was blieb war Armut, die Frau vertschüßte sich lautlos mit einem Anderen und manchmal gab’s Leichen. Das war der Blues in Reinkultur. Viele hielten das nicht durch und gingen aufs Land zurück oder nach „Bogaloo“, eine Metapher für dorthin, wo man herkommt.
Sah man noch halbwegs gut aus und hatte noch ein Quentchen Elan, konnte es einem passieren, daß man in die Hände einer „Kind Hearted Woman“ kam. Dieser Schlag Frauen war relativ leicht zu haben, aber ließ man sich mit so einer ein, konnte das unter Umständen lebensgefährlich werden, wenn man nicht bei der Stange blieb. Kind Hearted Woman nannte man meist ältere, bereits in den Matronenstatus übergehende Frauen, die noch nicht total desexualisiert waren, aber deren Triebe durch die Furcht vor dem Alter in Endzeiteuphorie noch eine letzte Renaissance erlebten. Meistens hingen sich diese Klettenweiber an einen jüngeren Mann, der noch in Saft und Kraft stand und den sie für seine Liebesdienste mit allem was für Geld zu haben war, verwöhnten. Sie stahlen, betrügten und zweigten somanches Hühnchen aus der Küche ihrer weißen Brötchengeber ab. Waren sie verheiratet, kam es vor, daß sie ihren Männern das schwer verdiente Geld aus der Tasche fischten und steckten es ihren Liebhabern zu. (Elzadie Robinson: Payday Daddy Blues).


So „kind“ sie zu ihren Galanen waren, so gnadenlos schickten sie ihre Ehemänner in die Wüste. Bessie Smith, die „Empress Of The Blues“ singt: Hey, hey daddy, you stand in a good man’s way…. und bezeichnet ihn als „Worn out papa“. Einer der nicht mehr konnte, war sozusagen kein Mann und wurde, wenn die Frau stärker war, brutal auf die Straße gesetzt. Big Joe Williams besingt eine, von der er sagt: „She put me outdoors on the road“. Wenn sich ein Mann vor seiner Frau nicht mehr entsprechend beweisen und auch materiell keine Bäume mehr ausreißen konnte, stellte Big Mama Thornton lakonisch fest:“You ain’t nothin‘ but a Hound Dog, barkin‘ all the time. Well, you ain’t never caught a rabbit, man you ain’t no friend of mine.“ Warum Elvis diese eigentlich emanzische Frauennummer sang, ist mir nicht ganz klar. Aber Rufus Thomas aus Memphis antwortete mit:“You ain’t nothin‘ but a Bear Cat“. Der gnadenlose Kampf der Geschlechter wurde nirgends härter geführt, als in der Welt des Blues. Als Memphis Minnie einmal in einem Blueswettbewerb den 1.Preis, eine Flasche Whisky gewann, konnte Big Bill Broonzy diesen Affront gegen die Männerwelt nicht verkraften. Er entriß ihr die Flasche und machte sich erzürnt davon. Aber Komplexe in Bezug auf weibliche Erfolge gibt es in jeder Gesellschaft, auch in der modernen, aufgeklärten.
Doch zurück zu den „Kind Hearted Women“.
Irgendwann mußte der Tag kommen, wo Geschenke und weibliche Servilität nichts mehr ausrichteten. Die geile Big Fat Mama war zu fett geworden und brachte es einfach nicht mehr. „My Mama’s so fat, I’ve to put ashes in her bed“. Wohl eine schwarze Bildersprache, aber dieses Stadium markierte das Ende einer Symbiose. Entweder blieb der Liebhaber nächtens weg, oder er wurde von seiner Verdacht schöpfenden Gefährtin in flagranti gestellt. Erhoffte sie sich seinerseits noch etwas, schnitt sie dem Betthäschen mit dem Rasiermesser die Kehle durch, oder erschoß sie mit der berühmten 44er. Erkannte sie, daß sie Verliererin auf allen Linien war, brachte sie den untreuen Liebhaber auch noch um. Morde unter der schwarzen Unterschicht wurden bis in die 30er in den seltensten Fällen gerichtlich verfolgt.


Als die Musikindustrie den schwarzen Markt als erschließbar entdeckte, nahm man neben authentischen Bluesnummern auch sogenannte Party-Blues auf, die auf sogenannten Rent-Parties die Renner waren. Rent Parties waren Zusammenkünfte, die zur Finanzierung oft unerschwinglicher Mietzahlungen veranstaltet wurden. Man machte Musik zur Unterhaltung, entweder live oder von Platten und die waren oft bewußt mit obszönem oder zweideutigen Inhalt bespielt. Die Stars der Partyszene waren Bo Carter aus Mississippi und eine Prostituierte aus Alabama, die sich abwechselnd Lucille Bogan oder Bessie Jackson nannte. Lucille sang zur Boogie-Piano-Begleitung von Walter Roland oder Charles Avery derb-zotige Nummern, von denen auch Versionen aufgenommen wurden, deren dreckiger Sex auch für den schwarzen Markt schlichtweg unzumutbar war. Ihre Paradenummer „Shave ‚Em Dry“ war schon vom Titel her reine Pornographie. Der Terminus „Shave ‚Em Dry“ beschreibt nicht nur Sex ohne Liebe oder Gefühl, wir würden soetwas als „durchputzen“ oder wienerisch als „abpudern“ bezeichnen, wobei ich nebenbei bemerken darf, daß der Ausdruck „Pudern“ eigentlich kein Terminus Vulgaris ist. Der lateinische Ausdruck für den Geschlechtsapparat heißt „Pudenda“, folglich ist die Tätigkeitsbezeichnung für dessen Betätigung zum Zwecke der Vereinigung der „Pudendae“ nur logisch. Aber wie gesagt, ich kann mich auch irren.
In letzter Zeit habe ich Kenntnis verschollener Studiotakes von Lucille Bogan erhalten und bin schon gespannt, wie die klingen. Übrigens kann man zwei der unveröffentlichten Versionen von „Shave ‚Em Dry“ auf Document Records hören….“I’ve got nipples on my titties, big as the end of my thumb, got somethin‘ ‚tween my legs, gon‘ make a dead man come. Ohh, daddy won’t you shave me dry“. Lucille Bogan machte als Hure und Partystar ein bißchen Kohle und setzte sich dann zur Ruhe. Ihr weiteres Schicksal ist mir nicht bekannt.
Mit dem Party Blues verlor diese Musik ihre unschuldige Spontaneität. Heute aber hat der durchchoreographierte Holzhammersex der MTV Videos meines(!) Erachtens keinen Bezug mehr zur Blueskultur.



Als sich in den 50ern über die Rock’n’Roll-Bewegung der Sex in die bis dahin „cleane“ weiße Unterhaltungsindustrie einschlich, erklärte man die Jugend durch diese neue Freiheit gefährdet und in vielen Staaten der USA rannte man gegen diese „Dschungel- und Niggermusik“ Sturm. Elvis Presley, der Jüngling der so sang, wie die Monroe ging, war absolut kein Sexrebell, er machte nur das, was er von den Schwarzen in der Beale Street gelernt und gesehen hatte. Daß er blendend aussah und einen erregenden Gesang hatte, machte ihn in den Augen der schweigenden Mehrheit zum mädchenmordenden Sexteufel, der er eigentlich nie war und doch schnippelten ihm seine Produzenten an den Songs herum, um sie so weit wie möglich zu entschärfen. Doch das gelang ihnen nicht immer, weil sie  mit dem Double Talk und dem Rock’n’Roll Jargon nicht zurechtkamen. So vergaßen sie, eine Strophe aus „Shake Rattle And Roll“ zu streichen: „Just like a one eyed cat, peepin‘ in a sea food store, I can tell by that, you ain‘ no child no more“. Im „Jailhouse Rock“ gab es sogar eine Zeile, die auf die tabuisierte Homosexualität hinwies, die naturgegeben in den Zuchthäusern herrschte: „Number seven said to number three, you’re the cutiest jailbird, I ever did see….“.
Heute regen solche Dinge nicht mehr auf, aber ich wollte ein wenig Licht auf ein Thema richten, über das es noch viele Irrtümer und Fehlinterpretationen gibt.

Es ist ein langer, aber ich glaube interessanter Beitrag geworden.                         Euer AL COOK