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AL COOK SPECIAL – WAS IST BLUES ?

AL COOK SPECIAL

Liebe Blues-Web Fans!

Bevor ich die laufende Serie über meine Tonträger fortsetze, möchte ich aus gegebenem Anlaß die vielleicht wichtigste Frage behandeln, die es in unserem Genre zu stellen gibt. Manchmal komme ich an ein Gerät, das mit dem Internet verbunden ist und ich klicke natürlich erst einmal www.blues.at an. Da gibt es eine Frage, die ich nur in der Überschrift zu sehen brauchte, um mir meine ernsten Gedanken darüber zu machen. Als dienstältester Bluesman der deutschsprachigen Szene fühle ich mich verpflichtet, zu irgend einer allgemeingültigen Definition eines Grundbegriffes zu kommen, wie er nicht schwammiger sein könnte.

WAS IST BLUES?
Wenn ich diese, fast fordernde Frage oft nach einem Konzert gestellt bekomme, versuche ich in der Eile zwischen Kabelaufwickeln und Fluchtseidel auf eine berechtigte Frage keine allzu dumme Antwort zu geben. In diesen drei Wörtern steckt soviel Aufklärungswürdiges, daß der Rest eines Konzertabends erst im Morgengrauen enden würde. Die halbgaren und teils irreführenden Definitionen sind, wie wir wissen, Legion. Der Informationsdurstige will klares Wasser und keine dumpfe Brühe serviert bekommen, er möchte mit fundierter Erkenntnis nach Hause gehen und einst vor dem großen Abgang nicht das Gefühl haben, man hätte ihn desinformiert in die Jagdgründe eingehen lassen. (Im charmanten Wien nennt man das „deppert sterb’n lassen“).



Wenn ich so am Computer sitze und schreibe, weiß ich oft nicht, wie die Folge enden wird. Ich stelle mich oft und oft, auch während des Schreibens immer wieder selbst in Frage und letzten Endes muß etwas herauskommen, das auch morgen noch Gültigkeit hat.
Da steht erst einmal die Frage, ob ein weißer Schnösel aus dem 3. Wiener Gemeindebezirk, der dazu noch nie seinen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat, imstande ist, den Blues zu definieren. Nun ja, ich habe zumindest eine engere Beziehung zum Blues, als zur Kultur meines Vaterlandes. Wohl eine Schande, aber ich bin ein typisches Produkt der nach dem Krieg einsetzenden Amerikanisierung Europas. Sorry, aber Mozart und die Sträuße sind mir so egal wie Rapid oder FC Hinterholz. Mein Leben war einst der klassische Rock’n’Roll und gleich darauf, wenn nicht sogar zeitgleich, der Country-Blues der 20er und 30er Jahre. Ich habe diese Musik nie bloß interpretiert, sie ist bis heute meine primäre Ausdrucksform geblieben. Wieso soll ich also betreffs der Bluesfrage inkompetent sein? Fragt heutzutage einmal einen Schwarzen was Blues eigentlich ist. Wenn er sich nicht gerade auf die Stirn tippt, wird er Euch sagen, daß er von dieser „Baumwollscheiße“ keinen Schimmer hat. Fragt ihr einen Musikprofessor, werdet ihr, wenn’s gut geht, mit ethnologischer Klugscheißerei vollgequatscht. Wo geht man also hin um zu erfahren, was Blues eigentlich ist. Ich sage meistens in Abwandlung eines Hans Moser Zitates: Man hat’s, oder hat’s eben nicht, das G’spür für den Blues. Wenn dann die Fans irgendwie unbefriedigt aus der Wäsche schauend von dannen ziehen, tut es mir oft wahnsinnig leid, sie in die Wüste geschickt zu haben. Ich versuche auch nicht, so wie manche meiner Kritiker meinen, den Ayatollah heraushängen zu lassen und alles als Scheiße zu etikettieren, was mir nicht gefällt. Mein persönlicher Geschmack ist meine Privatsache und offiziell nicht verbindlich. Es gibt aber welche, die ihre Tagesverfassung zur öffentlichen Doktrin erklären. Vor allem verwahrt Euch vor den pathologischen Bluesfaschisten, die Hautfarbe oder schwarze Herkunft zur alleinig seligmachenden Grundlage für ernstzunehmende Blueskunst erklären. Sie erinnern mich fatal an eine Komplementärversion des Rasse- und Siedlungshauptamtes während des Dritten Reiches. Schrieb nicht das amerikanische Bluesmagazin „Blues Access“ in einer Kritik über meine CD „The White King Of Black Blues“: Wer nicht die rechte Hautfarbe hat, kann sich nicht König des schwarzen Blues nennen! Dabei haben diese Vögel nicht realisiert, daß ich mich nie mit Schwarzen angelegt, oder verglichen habe. Die Presse meinte bloß, daß ich damals (1974) der beste Interpret schwarzer Bluesmusik im weißen Lager war.
Aber nun wieder zum Definitionsversuch des Begriffes BLUES.



Beginnen wir einmal, das Problem aus der Vogelperspektive einzugrenzen und uns vorerst mit dem hörbaren Anteil des Spektrums zu befassen, der Musik.
Betrachten wir das riesige Universum der Tonkunst, dann sehen wir komplexe Galaxien….Die Abendländisch-Europäische Klassik, die Orientalische und die Anglo-amerikanische Kultur und ihre Musik. Zweifelsohne treffen wir dann auf die historisch jüngste Supernova, die Rockkultur, deren Urknall vor ca. 120 Jahren stattfand, als sich die kritischen Massen Afrikanischer und Angelsächsischer Tradition auf fremdem Territorium zur Geburt des Blues fusionierten. Bis dahin mußten aber 200 Jahre schwarzer Sklaverei vergehen. Die heutigen Verfechter der Fusionsmusik stellen oft willkürlich zusammengewürfelte Multi-Kulti-Bands auf die Bühne und glauben, daß dadurch etwas Neues entsteht. Was die Guten aber vergessen, ist die Tatsache, daß jeder Geburt einer neuen Musik ein zeitlich nicht abschätzbarer kultureller Prozeß vorausgeht.
Noch jünger aber ist der Seitenarm globaler Musikkommerzialisierung in dem wir uns gefangen sehen. Wie aber sollen wir den Charakter einer Kunstgattung erkennen und verstehen, wenn er längst durch marktwirtschaftliche Strategien im Aspik billiger Kaufhausware aufgeweicht ist. Wollte doch einmal ein zufälliger Hörer von Hans Maitner’s „Living Blues“ den „Babysitter-Boogie“ hören, weil das ja offensichtlich ein Boogie sei und der Hans ja ein exzellenter Boogiekenner ist. Von mir wollte man schon des öfteren den „Mitternachtsblues“ und „Summertime“ hören, weil den Leuten dieser Schmarren als Blues serviert worden war. Also Kruzitürken (zu deutsch: verdammt noch mal) was ist nun Blues eigentlich. „Ollas is‘ Bluhs….“ stellte mein Exgitarrist Theo Bina fest. Das kann es aber auch nicht sein, also grenzen wir weiter ein…..Versuchen wir nun abstrakterweise an den Rand unseres Blickwinkels zu gehen, um uns dann langsam zum Zentrum vorzutasten.



Michael Jackson und Hansi Hinterseer sind also noch nicht Blues, oder nicht mehr. Puff Daddy und Peter Alexander auch nicht. Nein, Diana Ross und Dagmar Koller kommen auch nicht in Frage, aber wir schaffen es schon. Nach einigen Lichtjahren kommen wir schlußendlich bei den Rolling Stones und Dr. Kurt Ostbahn an. Da scheiden sich schon die Geister, denn beide haben auf ihre Art den Blues zumindest als Sujet verwendet. Für einen Hardliner wie mich ist das auch noch kein Blues, obwohl es bereits teilweise danach klingt. Kann man Stevie Ray Vaughan und B.B.King zum Blues zählen, oder Jimi Hendrix und dessen weißen Counterpart, den von mir so strapazierten Eric Clapton? B.B. King war bereits in den 50ern der mit Nachsicht aller Taxen der letzte Exponent, der mit einem Glied noch zur Traditionskette des Blues gehörte. Mit seiner offensichtlich aus kommerziellen Gründen vollzogenen Abkehr in die Las Vegas-Kacke hat er sich aus der Gilde der echten Blueskünstler herauskatapultiert, wie einst mein Idol Elvis  Presley, der vom „Milkcow Blues Boogie“ abging und schließlich an „Burning Love“ ausbrannte. Die beiden Boys aber haben sich ausgekannt, die wußten, was Blues war. Aber da sind wir schon beim springenden Punkt….In Amerika zählt ausschließlich der Dollar und kein Schwanz schert sich um Ehrlichkeit und Tradition. Die Schwarzen wollten erst einmal vom Baumwollfeld herunter und dann aus dem Ghetto ‚raus, es den Weißen gleichtun und Kohle machen, egal wie. Sicher hat das seine Berechtigung, aber auf diese Art bleibt die Kunst auf der Strecke.



Die Britpopgilde der Claptons, Stones und John Mayall-Abgänger zählen deshalb nicht, weil sie in ihren Herzen und Köpfen Pop-Musiker sind, die sich des Blues bloß als Sujet oder Gag bedienen. Das ist, zum wiederholten Male, kein Werturteil, sondern nüchterne Etikettierung, denn wenn ich ‚Mambo Nr. 5‘ singe, bin ich deswegen auch kein Schlagersänger. Viele gute Post-War Bluesmen wie John Lee Hooker, Ray Charles, Muddy Waters und Howlin‘ Wolf, um nur einige berühmte Beispiele zu nennen, haben des Geldes und der Popularität wegen den Pfad verlassen und kollaborierten teilweise mit Rockmusikern, die ihre Musik so verquert interpretierten, daß sie nur mehr als verkaufsträchtiger Schmarren produziert werden konnte. Ich weiß, daß Muddy nach der Fertigstellung seiner LP „Electric Mud“ fast zum Speibsackerl greifen mußte. Schwarze erzählten mir, daß B.B.King  jeden Tag spielen muß, um seinen Lebensstandard zu halten. Wahrscheinlich hat er auch noch einen Arschvoll Manager und Produzenten zu ernähren, die auch noch auf seine Kosten den Zampano spielen wollen. Im Grunde ist das auch Blues, wenn man solch eine Lage bedenkt.



Wann und wie der Blues begann, liegt im Dunkel. Aber wann der Grabgesang des Blues angestimmt wurde, liegt auf der Hand. „We Shall Overcome“ war die erklärte Hymne der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und zugleich das Farewell für den Blues. Es war die Zeit des Martin Luther King, des Elijah Muhammed und des Malcolm X. Schluß mit Uncle Tom, schluß mit „Yes Sir und Thanks Sir“, zum Teufel mit dem Selbstmitleid, zur Hölle mit dem „Nigger“, jetzt trägt der aufgeklärte Schwarze einen muslimischen Namen, zeigt dem Weißen den Stinkefinger und nennt sich African-American. Das ist verständlich nach 300 Jahren Sklaverei und Share-Cropper Dasein, aber wo blieb der Blues? Der wanderte mit dem ererbten Namen des Sklavenhalters gleich mit auf die Deponie Afro-Amerikanischer Kultur. Komplexe schwarze Gesellschaftsstrukturen gingen zu Bruch und man kann es in Tina Turner’s Biographie nachsehen. Sie löst sich vom Blues, verläßt ihren tyrannischen Mann, der sich noch als Big Daddy alter Schule versteht und macht eine glänzende Solokarriere, indem sie ihre kräftige Stimme zum plakativen Gekreische kultiviert und Pophits singt. Diejenigen, die den Anschluß an die Black Muslim Brüderschaft nicht finden, gehen entweder in die Versenkung ab, oder retten ihren Hintern, indem sie auf  Blues-Festivals den weißen Europäern ein bißchen Baumwolle vorgaukeln. Memphis Slim, Big Bill Broonzy und andere finden in Europa eine neue Heimat um nicht mehr mit „Nigger“ oder „Boy“ angesprochen zu werden. Ich habe fast alle Blueskünstler die ich traf gefragt, was denn ihrer Meinung nach Blues sei und ich habe die schwammigsten Antworten bekommen. Von „to be low in spirit“ bis „when you’re down and out“. Das sind Symptome, aber keine Definition. Ebenso konnte mir keiner erzählen, wie man damals einen Sänger, der sich auf einer unverstärkten Wanderklampfe mit kompliziertesten Arpeggios begleitete, hören konnte. Ich gab oft nach langem fruchtlosen Gequatsche auf und versuchte, mir selbst meinen Reim zu machen.
Blueswissenschaftler wie der geniale Paul Oliver erklärten den Blues als eine Musikkultur, die sich nur aus dem schwarzen Kontext heraus definieren ließ.
Zum soziologischen Verständnis des Blues empfehle ich Paul Oliver’s Blues Fell This Morning.



Den Blues scharfkantig zu definieren ist ein Unterfangen, als wolle man Liebe und Kunst erklären. Man weiß definitiv was es nicht sein kann, aber man weiß andererseits, daß es da ist, aber es ist nicht klar auszumachen, weil der Halbschattenbereich zu groß ist.  In den 70ern mußte ich einmal für eine Zeitung den Blueskomplex allgemeinverständlich darlegen. Ich versuchte den intellektuellen Klugscheißer zu machen und schrieb:

Der Blues ist ein auf gesellschaftlicher Ebene erklärbares Mißverhältnis zwischen Individuum und Sozietät, das sich durchwegs durch negative Erlebniserfahrung manifestiert. Schön geschwollen und das im Alter von 26 Jahren.
Der Blues ist zweifelsohne eine schwarze Kunst, drüber kommt niemand hinweg und wohl ist das Gefühl, den Blues zu haben international, aber es waren die Afro-Amerikaner, die diesem Gefühl eine zumindest hörbare Gestalt gegeben haben. Viele unserer Landsleute sind auch der Meinung, daß auch die Wiener Schrammelmusik ein naher Verwandter des Blues sei. Nun ja, jede authentische Volksmusik hat etwas von der Unmittelbarkeit des Blues, aber die Schrammlerei hat etwas von einem eher satten Geraunze mit einem Schuß Selbstzufriedenheit und kippt leicht in Sentimentalität ab. Der Blues ist unsentimentales, hartes und bodenständiges Klagen, ohne in den Schmalztopf zu greifen. Das Afrikanische Element des Blues führt uns in die gralshafte Dorfgemeinschaft, vor der sich der Einzelne outen und seinen Blues singen kann, ohne für einen lächerlichen Versager gehalten zu werden. In unserer Kultur gibt es so etwas nicht. Wir bewahren Contenance oder machen auf cool. Darum werden die Therapeuten und Psychiater fett und reich und somancher hängt sich in aller Stille dann doch eines Tages auf, aber er hat sich vor der Fit-und-Fun Gesellschaft keine Blöße gegeben. Problembeladene Menschen sind peinlich, weil man in ihnen oft an das eigene Versagen erinnert wird. Der Schwarze sang den Blues mit, weil es ihm auch so erging und fühlte sich im Kreise der Mitleidenden geborgen, daher gibt es bei den Naturvölkern keine Psychiater, sondern Freunde, denen man alles erzählen konnte.



Die Negation des Blues in der Unterhaltungsindustrie hat also seine Wurzeln nicht in der Tatsache, daß diese Musik nicht gefällt, sondern sie serviert keine Scheinlösungen wie der Musikantenstadel und Udo Jürgens. Dieses ‚“Wein‘ nicht, kleine Annabel…es wird alles wieder gut und eines Tages heiratest Du ganz in Weiß“ gibt es im Blues nicht. Vom Ehemartyrium der kleinen Annabel, die von ihrem Alten betrogen und verprügelt wird, singt dann keiner mehr und sie wird sich hüten, den Bekanntenkreis auf die Scherben ihrer Träume treten zu lassen. Das wäre dann der Blues, aber das will die Persilgesellschaft nicht wissen.
Ich glaube, damit meine Auffassung des Blues dokumentiert zu haben. Wer weiß, vielleicht habe ich nicht recht und alles ist ganz anders, aber 57 bluesige Lebensjahre haben mich zu dieser Überzeugung kommen lassen.

Manchmal glaube ich, daß ich für einen Bluessänger viel zu gebildet bin. Ich sollte eigentlich Gitarre spielen, mir einen Fusel in die Birne stoßen und blöde Weiber anmachen, aber dafür bin ich eben nicht gebaut.
Ich hoffe, daß Ihr etwas profitiert habt und wenn ich zur Aufklärung dieser Frage noch etwas beitragen kann, werde ich mich nach Kräften bemühen.

Ich hoffe, daß Ihr schon fleißig meine neue CD THE COUNTRY BLUES bestellt habt. Die Präsentation, hoffe ich, wird irgendwann Ende Jänner oder Anfang Februar stattfinden. Ich werde sie entsprechend ankündigen.

Bis nächste Woche                Euer     AL COOK                  © by Al Cook 2001

P.S.: Unglaubliches Detail am Rande: Ein nicht genannter Freak wollte mir weis machen, daß man in den Unionsstaaten die Sklaverei nur erfunden hatte, um sich den Süden mittels eines Bürgerkrieges unter den Nagel zu reißen. Mindestens drei Nordstaaten hätten Sklaven beschäftigt, während es den Schwarzen im Süden gar nicht schlecht gegangen sei.
Was soll man da antworten……..Auschwitz war dann wohl wieder einmal eine Sommerfrische. Es soll Leute (nicht Menschen) geben, die das wirklich glauben. Christus soll nach gewissen Informationen nicht gekreuzigt, sondern sich in Indien (!) niedergelassen haben. Nun, für letzteres haben wir keine CNN Doku, aber die beiden vorhergehenden Diskussionsgegenstände sind wohl dokumentierte historische Tatsachen. Dann Gute Nacht….!