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BLUE CHRISTMAS

Al Cook Special – The Silent Night Blues, oder                   ©Al Cook 2002

BLUE CHRISTMAS

Liebe Bluesfreunde und VBC Fans!

Wieder einmal geht ein Jahr zu Ende und die letzten, aber größten Festivitäten stehen vor der Tür. Ich will das Jahr nicht ausklingen lassen, ohne ein wenig über die ehemals besinnlichste Zeit des Jahres zu referieren.
Was soll ein Bluesman eigentlich zum Weihnachtfest tun oder sagen!? Letzte Nacht lag ich so da und wartete, ob mich die Muse küßt, aber offensichtlich schmuste sie gerade mit einem Andern und ich muß mir nun etwas einfallen lassen.

Das Christfest, wie man es einmal nannte, beging man, um sich jedes Jahr der Geburt des Gottessohnes zu erfreuen, der gekommen war, die Menschheit zu befreien. Bei dieser Gelegenheit war es üblich, daß man seine Lieben beschenkte und denen die Hand reichte, die mit einem im Streit lagen, denn man wollte das Neue Jahr frischen Mutes und mit Zuversicht beginnen. Zwar gelang das nicht immer, aber man versuchte es wenigstens. Für die Kleinen ließ man den Lichterbaum erstrahlen und läutete ein kleines Glöckchen. Gerade ist das Christkind aus dem Fenster gehuscht und der sich in eisiger Winterbrise bewegende Vorhang schien das auch zu beweisen. Schnell schloß man das Fenster, damit es sich nicht ein zweites Mal in die selbe Wohnung verirren und die anderen Kinder nicht rechtzeitig beschenken kann. Die Adventzeit roch noch nach Tannenzweiglein und Bratäpfeln, die am Koks- oder Kohleofen dahinbrutzelten. Man saß gemeinsam am Zimmertisch und wickelte je nach Haushaltsbudget eine mehr oder weniger große Anzahl von Weihnachtsbäckereien ein. Man sang Weihnachtslieder oder erzählte sich Geschichten, um die Einwickelei kurzweilig zu halten. Dabei mußte man aufpassen, daß das Kleinste nicht mit zu vielem Schokozeug naschend unter dem Tisch verschwand, wie es einst mein kleiner Bruder tat.
Die Geschenke bewegten sich damals in eng gesteckten Grenzen, aber man freute sich schon über ein neues Schreibzeug für die Schule oder einen Holzbaukasten,  mit dem man seiner Kreativität frönen konnte. Zugleich aber war das Weihnachtsfest ein kommunikativer Event, wo die Familie abseits des Alltags ein wenig Small-Talk betreiben konnte. Manchmal schaukelte sich die belanglose Quatscherei auch in eine erregte Diskussion auf, die sich aber mit dem Erscheinen der Schweinsbratenservierenden Dame des Hauses rasch in ein wohliges Schmatzen verwandelte, das durch rhythmisches Klappern des Eßzeuges perfekt begleitet wurde. Die Kinder wurden zu Bett geschickt und Vater und Onkel glichen bald ihren Sprößlingen, wenn man sie so mit der Geschenkeisenbahn spielen sah.  Mutter und Tanten saßen bald um den Zimmertisch und tuschelten sich ihre Eheprobleme von der Seele. Nach Mitternacht war dann alles vorbei, Mutter spülte das Geschirr, Vater steckte sich noch eine Betthupferlzigarette an und das war’s wieder für ein Jahr.



Ja, so ähnlich war es, das Weihnachtsfest bei Kochs in den goldenen Fünfzigern. Die Wenigsten aus meiner sozialen Umgebung kamen je über dieses bescheidene Fest trister Mittelmäßigkeit hinaus. Wir sangen nicht einmal Weihnachtslieder, weil meine Eltern weder gläubig noch sehr musikalisch waren. Nach der Bescherung saßen mein Bruder und ich am Tisch und lauschten mit roten Ohren den jedesmal anders geschilderten Frontmünchhausiaden aus dem 2. Weltkrieg. Man überbot sich förmlich in der Darstellung vollbrachter Heldentaten und heute weiß ich, daß meine Familie samt und sonders arme Scheißer waren, die sich nur verzweifelt gegenseitig zu bestätigen versuchten. Dann ging man nach Hause, schlief sich den Arbeitsstreß weg und genoß die paar Feiertage bis zum Neuen Jahr. Silvester zischten dann anstatt knallender Sektkorken Bockbierkronen und der kleine Cooksie (damals noch Loisi) durfte auch einen Schluck machen, der ihm aber gar nicht schmeckte, aber um so mehr das Feiertagsschnitzel vom Schweinslungenbraten in selbst erzeugtem Grammelschmalz (Schmatz!) gebacken.
Und doch freute ich mich immer wieder auf das Weihnachtsfest, weil die Familie zusammenkam und irgend etwas los war. Das ganze Jahr lief größtenteils sowieso freudlos zwischen Hänseleien in der Schule und gelegentlichen väterlichen Sonntagsprügel ab. Zudem gab‘s gutes Essen und Vater war nicht so gereizt, weil er nicht arbeiten mußte und vor allem, wir bekamen Besuch.
Vater schenkte mir einmal ein selbstgebasteltes Fernrohr und meinem Bruder einen Metallbaukasten, weil dieser schon als Baby technisch interessiert war. Ich guckte in die Sterne und der Kleine baute sich eine MP- Attrappe, mit der er die alten Frauen am Weg zum Greißler zu Tode erschreckte. Kein Wunder, denn der Krieg war erst zehn Jahre vorbei und bei der Sowjetischen Botschaft patrouillierten die Wachsoldaten mit der „Puschka“ im Anschlag. Heute sind wir satte Endfünfziger und haben uns beide der Kunst verschrieben.



Mit Beginn der 60er hörte sich bei uns das Weihnachten feiern auf. Vater meinte, daß wir nun schon zu alt für den Christkindglauben wären und wir unser Geld für vernünftige Dinge sparen sollten. Im Vertrauen, ich glaubte schon unter zehn nicht mehr ans Christkind, aber ich fand das Feiern so schön.
Ich war zum Jüngling herangewachsen und wünschte mir nichts sehnlicher als Elvis-Klamotten und eine Gitarre. Nein, solch verrücktes Zeug kam Vater nicht ins Haus. Also mußte ich mich selbst beschenken. Im Oktober 1963 kaufte ich mir dann eine Gitarre und ein Griffheft. Vater meinte, vor die Tatsachen gestellt: „Wenn du binnen einem halben Jahr auf diesem Kasten nichts zuwege bringst, schmeiß ich dir das Zeug aus dem Fenster !“ Ich bekam von Zuhause nie mehr ein Weihnachtsgeschenk. Erst bei meiner ersten Partnerin erlebte ich 1974 wieder ein Weihnachtsfest. Anfang der 70er war ich am Weihnachtsabend nicht einmal zu Hause. Ich verbrachte den 24. Dezember bei einer Clique aus einer Schauspielschule. Vater hatte nach dem Tode meiner Mutter keinen Sinn mehr nach feiern, außerdem hatte er meine ewigen Frauenprobleme satt und war froh, wenn ich aus dem Haus war.
Weihnachten war bis auf ein paarmal in der Kindheit der ewige Blues, solange ich zurückdenken kann. Ich verdarb anderen Leuten mit meinem stadtbekannten Miesepetergesicht jede Party, weil ich den Eindruck hatte, daß sich meine Daseinsberechtigung nur auf meine Rolle als gitarrespielender Kofferradio beschränkte. Ich aber war Anfang zwanzig und suchte verzweifelt nach weiblicher Gesellschaft. Wortlos verließ ich so manche Party und ging, meine Gitarre hinter mir herschleifend nach Hause. Als ich mich schlafen legte, hörte ich meinen Vater tonlos um meine Mutter weinen. Das waren die Weihnachtsabende in den frühen Siebzigern.



Wenn ich heute so auf den Straßen dahinmaschiere, sehe ich nur ein einzig Volk von Hektikern. Gereizte Menschen in den Supermärkten, die sich wie in einer Löwengrube um Schnäppchen (wienerisch: Mezien) balgen. Dazwischen bohrt leise aber schmerzend, die Kaufhausberieselung mit mittelfrequenter Weihnachtsmusik in Gehirn und Gemüt. Die grinsenden Feiertagsfratzen der zur Maske verschminkten Verkäuferinnen, das brutale Abzocken der Kundschaft und das werbeträchtige Mitleid mit Behinderten lassen mir die Kotze hochsteigen. Wäre da nicht so viel falscher Glanz, gäbe es nicht so viel Schatten. Ach wie sind wir edel und gut, spenden Millionen für Djiboutistan und neben uns liegt der Nachbar schon ein halbes Jahr tot und stinkend in seiner Wohnung, weil wir nicht einmal wissen, wie er heißt. Der Großindustrielle, der sich telegen mit sechsstelligen Eurobeträgen kratzt, gibt keinen müden Cent, wenn der Werbeeffekt nicht gesichert ist und vom Fiskus unangetastet bleibt. Ich hatte einmal nach einem Atlantis-Konzert einem frierenden blinden Losverkäufer sämtliche Lose abgekauft und ihm den Rest für’s Nachtmahl gelassen. Ein andermal hatte ich einer armen alten Frau einen Wochenendeinkauf geschenkt. Sie bat einen Obsthändler, er möge ihr ein paar ausgemusterte Äpfel überlassen. Ein Geschäft witternd, wollte diese Kreatur dem armen Weiberl den Kassapreis verrechnen, obwohl er die Äpfel sowieso entsorgt hätte. Ich schmiß vor allen Leuten meinen Einkauf hin und gab der Armen hundert Schilling, denn der Appetit war mir gründlich vergangen. Das habe ich weder im Fernsehen, noch im Radio erzählt. Ich bin kein Big Spender, aber ich helfe gerne still und persönlich und ich wollte ich könnte Wunder tun und allen Menschen helfen, die in Not sind. Leider habe ich mit mir selbst oft genug zu tun und es gelingt mir nicht immer, Freude zu bereiten. So bekommt der Zeitungskolporteur aus Sri Lanka für den Kurier einen ganzen Euro und die Verkaufspuppis bei Billa eine Stange Mon Cherie oder ein Packerl After Eight. Ich sage Euch, es ist zwar nicht cool oder Gigageil, Freude zu bereiten, aber manchmal unheimlich schön.  

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nocheinmal DANKE sagen für alles, was Ihr während meiner Herzgeschichte für mich getan habt. Es hat sich ausgezahlt, denn ich bin wieder im Sattel und sage Euch: COOKSIE RIDES AGAIN.
                                                                         Euer    AL COOK