ROOSEVELT SYKES
The Original Honeydripper.
31.01.1906 Elmer, Arkansas – 17.7.1983 New Orleans, Louisiana
Über mein Pianoidol Roosevelt Sykes zu schreiben, war mir immer ein Herzensbedürfnis. Ich glaube, daß sich hierzulande niemand mehr mit diesem ungewöhnlichen Mann und seinem Spiel auseinandergesetzt hat, wie ich.
Dabei war er mir bis Anfang der 70er absolut kein Begriff.
Ich hatte diverse Blues und Boogie-Woogie Platten in meiner Sammlung, wo Roosevelt Sykes teilweise als Begleiter von Vokalisten vorkam. Hie und da kam er mir auch als Solist ins Ohr.
Blues und Boogie-Woogie Piano war immer eine Leidenschaft, der ich aber nur beschränkt frönen konnte, da ich weder ein Piano besaß, noch einen Ton spielen konnte. Meine Hauptinstrumente waren die Gitarre und mein Gesang, der mir mindestens so wichtig war, wie meine „Box“.
Ich war ab dem Tag meiner ersten Boogie-Woogie Begegnung ein erklärter Fan des Chicago-Pianisten Cripple Clarence Lofton, dessen schweres, einfaches Spiel mich genauso faszinierte, wie das tiefe Bluespiano des aus Butte, Montana stammenden Arthur „Montana“ Taylor. Das war Boogie-Woogie…nicht das Kommerzgeklimper mancher Barpianisten, die halt mal einen Boogie draufhatten.
Aber wie gesagt, ich wollte unbedingt selbst Piano spielen, denn ich hatte damals den Kopf voller Ideen. Doch Meade Lux Lewis, Albert Ammons und Pete Johnson waren mir nicht nur zu kompliziert und akrobatisch, sie waren mir einfach zu monoton und schematisch.
Bis ich eines Tages Hans Maitner, den Boogie-Spezialisten und mit ihm auch den 18 jährigen Martin Pyrker kennenlernte. Bei unzähligen Plattenabenden bei Maitners lernten wir die unendliche Vielfalt Afro-Amerikanischer Klaviermusik kennen….und natürlich auch lieben. Damals lief diese Musik noch unter dem irritierenden Etikett „Primitives Piano“. Mag sein, daß die Musikprofessorenschaft nicht davon loskam, den Blues mit den Kriterien und Maßstäben abendländischer Hochkultur zu messen. Lange hat’s gedauert, bis die „Niggermusik“ endlich Zugang zum Musikverständnis heutiger Hochschulen gewährt bekam. Martin Pyrker, Axel Zwingenberger und noch einige andere Künstler haben in harter Arbeit den schwarzen Piano-Blues auch für das Kulturbürgertum salonfähig gemacht.
Unter den Piano-Raritäten, die uns Hans Maitner vorspielte, fanden sich Musiker, die sich weder an Taktschemen, noch an kontinuierliche Rhythmik hielten. Sie waren, bis auf einige Ausnahmen alle Vertreter des sogenannten St. Louis Stiles, der für mich einfach interessanter war, als schematisierte Tastenakrobatik. Die Unberechenbare, sehr individualistisch anmutende Spielweise dieser Leute machte einfach totalen Eindruck auf mich.
Henry Brown und seine schwere Linke, Peetie Wheatstraw, der immer das gleiche Intro spielte, oder Wesley Wallace, der keine Dominante kannte und statt dessen die Subdominante wiederholte und dann mit einer Abgangsphrase wieder zur Tonika zurückkehrte, waren nur einige von der Palette bunter Vögel. Was mich aber am meisten faszinierte, war, daß die linke Hand keine monotone Baßfigur spielte, sondern zwischen Shuffle, Dezimenauflösung, Rumpelbässen und oft unfertigen Walking-Bass Einlagen herumtänzelte. Die Schlüsse waren oft abrupt und total unlogisch, vor allem nicht auszuzählen. Man brach einfach ab, wenn die drei Minuten Spielzeit zu ende waren.
Doch da war einer, der aus diesem faszinierenden Kauderwelsch ungeschliffener Barrelhouse-Klimperei eine Kunst machte. Es war der mann, von dem in diesem Beitrag die Rede ist…..
ROOSEVELT SYKES
Roosevelt Sykes wurde am 31.Jänner 1906 in Elmer, Arkansas geboren. Viele halten West Helena für seine Geburtsstadt, weil er sich dort bereits im jugendlichen Alter von 15 Jahren einen lokalen Namen als Pianist machte.
Sykes sagte von sich selbst, daß er damals eher auf der Jazz-Schiene fuhr. Man kann das auf Aufnahmen wie Honeysuckle Rose und Sunny Side Of The Street feststellen. Er war ein Entertainer par excellance.
Roosevelt war eine eigenartige ethnische Mixtur aus einem etwas japanisch aussehenden Schwarzen, der kupferfarbene Haut hatte und in jungen Jahren offensichtlich nach damaligem Schönheitsideal ein fescher Mann gewesen sein soll. Man soll übrigens bei ihm polynesische Vorfahren ausgemacht haben. Sykes war so etwas wie ein „Ladie’s Man“, ein Weibertyp, dem die Bluessängerin Edith Johnson das Prädikat „Honeydripper“ verlieh. Offensichtlich schien er ein exzellenter Liebhaber gewesen zu sein, dem die Weiber jede Sauerei verziehen, nur um einmal von ihm begattet zu werden. Edith Johnson singt im Honeydripper Blues: „He treats me mean, only comes to see me sometimes…“, dann stellt sie fest: „He knows, he’s a good honeydripper and I want him every day“.
Roosevelt Sykes lernt in einem Stummfilmkino einen Pianisten kennen, der von nun an sein Mentor und Vorbild sein sollte. Er begleitete die Filmvorführungen eines Kleinstadtkinos und spielte manchmal in Barrelhouse-Kneipen. Sein Stil war sehr archaisch und so ursprünglich und klang, wie ein after hours piano um 4 Uhr früh. Sein Gesang klang auf manchen Aufnahmen wie Ziegengemecker. Wahrscheinlich war das eine besondere Form des voice maskings, einer Gesangstechnik, die aus der Voodootradition kam. Hier versucht man, dem Teufel durch verstellen der Stimme die wahre Identität zu verbergen und so vom Verfluchtwerden wegen Bluessingens davonzukommen. Little Brother Montgomery verwendet dieselbe Technik für seinen Vicksburg Blues. Das scheint zu beweisen, daß er mit Roosevelt Sykes einen gemeinsamen Vorreiter hatte.
Der Pianist hieß Leothus „Lee“ Green. Lee wird in der Geschichte des Blues Pianos als „shadowy figure“ bezeichnet, die auftauchte, spielte und wieder verschwand. Er war noch aus der Generation der Wandervögel, die sich ein paar Bucks verdienten und weiterzogen.
Lee Green verwendete sein Instrument noch hauptsächlich als Gesprächspartner, denn als Rhythmusinstrument, so wie es bei den meisten Blueskünstlern der ersten Generationen zu hören ist. Selten verwendete Lee die linke Hand, um typische Boogie-Woogie Begleitungen zu spielen. Er setzte den Walking Bass spontan und oft bruchstückhaft ein. Sein Markenzeichen waren ausladende Dezimenschritte und der unvermeidliche Rumble-Bass. Man schleift sich in einer Art rumpelnder Aufwärtsbewegung an den gewollten Ton heran, läßt ihn ein wenig liegen und hängt dann die Melodie so an, daß noch Zeit für einen zweiten und einen dritten Ton bleibt. Der Rhythmus spielt sich dabei nicht auf dem Instrument, sondern im Kopf ab. Rhythmisch gesetzte Baßfiguren werden nur dann gesetzt, wenn sie benötigt werden, oder dem Ausdruck dienen.
Roosevelt Sykes war 23 Jahre alt, als er offensichtlich durch Jesse Johnson, einem Musikladenbesitzer und Talent Scout aus St. Louis zu seiner ersten Plattensession eingeladen wurde.
Die Johnsons, aus deren Familie auch der Pianist James „Stump“ Johnson stammte waren umtriebige Businesspeople, die als Talenteentdecker für die legendäre Plattenfirma Paramount-Records arbeiteten. Die schon vorher erwähnte Edith North Johnson war mit einem Familienmitglied verheiratet, schien aber dem rustikalen Charme Roosevelts rettungslos erlegen zu sein. Offensichtlich hängte sich Edith an Sykes an, um ebenfalls zu einer Aufnahmesession zu kommen. Edith spielte auch ganz passabel Klavier, fungierte aber bei Roosevelts ersten Sessions als nur als Sängerin. Dabei nahm sie ihren legendären „Honeydripper Blues“ auf, in dem sie dem jungen Hengst aus Arkansas ein ewiges Denkmal setzte.
Freitag, den 14. Juni 1929 betrat Roosevelt Sykes ein Studio am Union Square Nr. 11 in New York.
Die erste Nummer stand schon fest. Es war das Paradestück, an dem man damals die Bluespianisten maß. Roosevelt lernte sie von Lee Green, der sie ein paarmal in die Rillen spielte….es war der legendäre 44 Blues, dessen Thema sich bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgen ließ. Vielleicht ist das Stück viel älter, denn man berichtet von Leuten wie Ernest 44 Johnson, Long Tall Friday, Dehlco Robert Johnson (nicht verwandt) oder Baby Sneed….alles Namen, die nie auf Platte zu finden waren. Der Einzige, der noch für seine Interpretation des 44 Blues berühmt geworden war, ist Eurreal „Little Brother“ Montgomery, der das Thema unter dem Titel „Vicksburg Blues“ mehrmals, auch in Instrumentalversionen veröffentlichte.
(Ich hatte das Glück, Little Brother Montgomery im Jazzland zu erleben. Eine Live-Aufnahme des Vicksburg Blues von jenem Tag befindet sich in meinem Besitz. Dann spielte er Rock Around The Clock (!!) Das sind Schätze, die es in keinem Plattenladen gibt).
Roosevelt Sykes nahm als B-Seite eine andere Standardnummer der Boogie-Piano Geschichte auf. Pinetops Boogie Woogie, der bis heute ein Instant-Hit für einschlägige Pianisten ist, war damals schon ein einträglicher Gassenhauer.
Roosevelt spielt eine etwas tumultartige Version dieses Stückes, aber das war eben die Country-Bluesmäßige Interpretation einer bereits komplex arrangierten Nummer.
Am selben Tag nimmt Roosevelt Sykes auch eine Hommage an seinen Lehrer Lee Green auf. „All My Money Is Gone“ klingt wie eine perfekte Kopie des Originals. Sykes stieg in eine Karriere ein, die bis zu seinem Tod im Jahre 1983 durch nichts unterbrochen wurde.
Roosevelt Sykes war trotz seines erdig-rustikalen Wesens, gemessen an Typen wie Big Joe Williams, ein intelligenter Mensch, der ein schlitzohriges Talent für’s Geschäftemachen hatte. „I’m a businessman, do business everywhere I go….“ singt er auf einer seiner ersten Platten. Seine Texte, die er offensichtlich selbst verfaßte, waren keineswegs das, was man schlichtweg unter Blues versteht. Sie waren teilweise zynisch, strotzten oft von ein- oder mehrdeutigen Sexattacken, die oft der Zensur zum Opfer fielen. Selbst wenn man aufs erste das übliche Selbstmitleid vermutet, ist das nichts als zynische Ironie, die sich nicht selten in Galgenhumor auflöst. Sogar vor seinem Freund und Lehrer Lee Green macht er nicht halt. Lees Mädchen verläßt ihn und fährt mit dem 44 Train davon….Sykes verabschiedet sich mit einem „good bye, I’ll pick her up, so long“. Liebe bezeichnet Roosevelt als „….abcess at the brain and it works right on the heart“. So statuiert im Night Gown Blues.
Bluessänger verdienten sich oft noch ein Extra mit gelegentlicher Zuhälterei. War man so ein Honeydripper, der sich die Weiblichkeit mit seinen Sexpraktiken (Papa Low, eine Spielart der oralen Art) hörig machen konnte, war die Versuchung, die Gespielinnen auf den Strich zu schicken, nicht weit. „I can’t use no woman, makes only fifteen cents a day“, grollt Sykes im gleichnamigen Song. Wie billig damals die Huren am Lande waren, sieht man an Roosevelts Preisansprüchen.
Ob er damals tatsächlich ein Zuhälter war, entzieht sich meiner Kenntnis. Viele aber waren es.
Trotz aller Geschäftstüchtigkeit schien der Honeydripper, wie er sich von nun an nannte, nicht genug zu verdienen. Er war stets teuer gekleidet und trug Gamaschen über auffälligem Schuhwerk. Dann rauchte er stets teure Havannas, die zu seiner Trade-Mark wurden.
Diese Tatsachen zwangen ihn, sich unter verschiedenen Pseudonymen an andere Plattenlabels zu verkaufen.
Er nahm auf unter Dobby Bragg, Willie Kelly, Easy Papa Johnson und oft nur unter seiner Standardverkleidung „The Original Honeydripper.“
1935 wechselte er zu Decca-Records, wo er mit St. Louis Jimmy….James Oden, das legendäre „Goin‘ Down Slow“ aufnahm. Daneben konnte er es nicht lassen, wieder zu schweinigeln….Die Nummer hieß „Ice Cream Freezer“ und fiel sofort der Zensur zum Opfer. Erst Johnny Parth veröffentlichte sie auf seinem Document Label.
Nicht nur das Ejakulat verwandelt sich zur Ice Cream, es wird durch die Erwähnung von Vanille und Walnußeis noch eine rassistische Note hinzugefügt. Auch die Möglichkeit der verfrühten Ejakulation findet Niederschlag in diesem Song. Das war den Zensoren einfach zu viel. „She turns her freezer so slow and easy, she said, hey daddy, hold back and stick around. I said you spoke that a little too late, pretty mama, I got to let that flavor come runnin down.“
Typische Boogie-Woogie Nummern nahm Sykes in den Vorkriegsjahren eigentlich wenige auf. Die bekannteste ist eine Barrelhouse-Nummer die ebenfalls an der Grenze zum Zensurtod angesiedelt war. „Dirty Mother Fuyer“ ist eine schnelle Boogie-Nummer, die mit einem Walking Bass begleitet wird, dem die Quinte unterlegt ist. Der Text ist einschlägig und richtig etwas für besoffene Feldarbeiter, die sich bei vulgärer Unterhaltung ihren Frust abreagierten. Heute würde man all das, was in den Barrelhouses gespielt und gesungen wurde, als brutalen Sexismus verurteilen. Für Emanzen heutigen Stils ist das Barrelhouse absolut nicht der Ort, wo sie sich aufhalten würden.
Kurz nach dem Eintritt Amerikas in den 2. Weltkrieg wechselte Roosevelt Sykes zur RCA Tochter Bluebird. Seine Musik begann sich zu verändern, sogar Durchhaltenummern und Propagandasongs wie „Training Camp Blues“ hatte er im Programm. Er spielte mit größeren Besetzungen und begann, Jive-Nummern aufzunehmen. Sein typischer Stil, den wir Bluesenthusiasten so liebten, verschwand zusehends aus seinem Repertoire. Roosevelt Sykes war Geschäftsmann und paßte sich ohne Gewissensbisse den Bedürfnissen eines neuen Publikums und einer neuen Zeit an. Heute würden wir den Meister des Country-Blues Pianos vielleicht einen verdammten Kommerzheini nennen, doch wir haben gelernt, daß die Afro-Amerikanische Kultur keine bewußte Traditionspflege kennt.
1954 verlegte Roosevelt Sykes seinen aktuellen Wohnsitz von Chicago in die Jazzmetropole New Orleans, wo er bis zu seinem Ableben residierte. Er brachte es zu einem annehmbaren Wohlstand und lebte mit einer ausgedehnten Familie, Auto und eigenem Haus.
Mit der Nachkriegszeit verschwand Roosevelt Sykes zeitweise aus den Hitparaden…..der Rock n Roll übernahm die Regentschaft, während der Blues durch die sich langsam entwickelnde Bürgerrechtsbewegung als ethnische Komponente an Bedeutung verlor.
Anfang der 60er entdeckte man viele der verschollen geglaubten Bluesleute wieder. Es wurden Folk-Blues Festivals veranstaltet und die Plattenlabels Folkways, sowie Riverside und Origin veröffentlichten wieder ethnischen Blues. Von vielen machte man nach ihrer Wiederentdeckung aktuelle Platten…..so auch von Roosevelt Sykes. Er spielte ein paar Nummern, die er noch aus seiner Frühzeit kannte und sein neues Publikum waren weiße Bluesfreaks. Die Schwarzen wendeten sich dem Soul und der Detroiter Motownbewegung zu und gingen einen ganz anderen Weg.
Die britische Popszene der frühen 60er nahm sich des Blues an und man war damals natürlich unendlich stolz, mit einem schwarzen Klassiker die Bühne zu teilen. Sogar Charlie Watts von den Rolling Stones begleitete Sykes 1961 am Schlagzeug. Was mich wunderte und gleichzeitig ärgerte, war die Tatsache, daß sich mein Jugendidol Elvis Presley, der ja viel von Schwarzen lernte und somanche songs zu Millionenhits machte, nie mit Schwarzen auftrat, oder Fernsehen machte. Der Colonel war ja Ehrenoberst der ewig nicht mehr existenten Südstaatenarmee. Sagt das genug?
ROOSEVELT SYKES IN ÖSTERREICH
Im Mai 1974 war es dann soweit.
Die Posaunen einer Jazzagentur verlauteten die Kunde…..Roosevelt Sykes, der Original Honeydripper ist in Europa.
Axel Melhardt, der zur Legende gewordene Chef des 1972 eröffneten Jazzland-Clubs packte zu und engagierte Roosevelt Sykes fast eine ganze Woche, außerdem konnte er noch zwei Konzerte dazubuchen, die in Graz und Linz stattfanden. Roosevelt logierte im Hotel Zur Kugel in der Westbahnstraße.
Hans Maitner, ich und der 20.jährige Boogie-Pionier Martin Pyrker machten sich also auf den Weg zum Hotel, um den Honeydripper zu begrüßen und ihn zum Jazzland zu kutschieren.
Roosevelt war schon ein alter Mann und brauchte seinen Schlaf. Als wir an die Zimmertür klopften, öffnete er die Tür…..es war ein Bild für Götter. Der legendäre Honeydripper in getupften Boxerunterhosen und Sockenhaltern.
„Come in here“ shoutete er in seiner hellen, lauten Stimme. Während er sich anzog, erzählte er ständig dreckige Witze, die nur schwer zu übersetzen waren. Meistens lachte er über seine Kreationen am meisten. Vielleicht auch deshalb, weil er sah, wie wir uns bemühten, die Pointe zu verstehen.
Hans Maitner hatte sämtliche Sykes-Platten, die er besaß, mitgebracht und ließ sie nacheinander signieren. Da sah Roosevelt das Country-Blues Piano Ace Album und meinte….“Ach Gott, war ich da jung. Damals konnte ich noch nicht gut spielen“. Uns genügte es. Wir standen alle auf seine historischen Aufnahmen. Stücke wie der 44 Blues, You So Dumb oder All My Money’s Gone waren die Nummern, die wir hören wollten. Boot That Thing und Sweet Home Chicago würden uns von den Stühlen reißen. Was aber der gute Roosevelt beim Konzert von sich gab, war absolut nicht unser Bier.
Im Jazzland angekommen, setzte er sich an den eigens gemieteten Bösendorfer und begann uns mit Sunny Side Of The Street und Honeysuckle Rose zu verwöhnen. Da hätten wir keinen Roosevelt Sykes gebraucht, Fats Waller hätt’s auch getan….
Wir ließen also noch geduldig einige Jazzstandards über uns ergehen. Dann, in der Pause nahm ihn Hans Maitner zur Seite und wir bearbeiteten den Honeydripper eindringlich, doch endlich seine Bluesabteilung loszulassen. Sykes spielte in Amerika viel in weißen Klubs, die auf sein schräges Country-Blues Piano nichts gaben und er mußte Jazzstandards herunterklimpern. Dem rundlichen, ewig grinsenden Sanguiniker mit der Havanna in der Zahnlücke schien das nicht zu berühren.
Am 9. Mai 1974 hatte ich im Rahmen des Sykes-Konzertes einen Pausenauftritt von 20 Minuten, von dem noch ein paar Nummern auf Band existieren. Nach der Pause rief mich Roosevelt Sykes auf die Bühne und ich setzte mich neben ihn.
Wir hatten Tags zuvor Freundschaft geschlossen und er hörte sich aufmerkam meine Auftritte an, die samt und sonders aus ziemlich rauhen, schneidenden Interpretationen im Robert Johnson Stil bestanden. Meine Stimme klang noch ziemlich urig. Zwar von tierischer Kraft, aber teilweise unkontrolliert. Damals schleppte ich mich oft schweißüberströmt von der Bühne, weil ich damals glaubte, mit totalem Körpereinsatz die optimale Leistung zu erzielen. Ich wollte einfach der Beste sein.
Auf Roosevelt Sykes machte ich großen Eindruck. Er bot mir an, mit ihm nach Amerika zu fahren, um dort mit ihm aufzunehmen und zu touren. „Man, I like to record with you. You got a husky voice“. Ich fühlte mich natürlich wie der Blueskönig, aber ich hatte einen alten, kranken Vater, der mit amputierten Beinen im Rollstuhl saß. Es gab keine Alternative. Ich konnte die Einladung nach Amerika nicht annehmen. Dieses Opfer ist mir schwer gefallen. Aber ich habe mit ihm gespielt und das war eine Auszeichnung, die noch heute meine Brust ziert.
Endlich spielte Roosevelt Sykes das was ihn ausmachte. Vor und nach den Konzerten machte er alles an, was nach Frau aussah. Natürlich kam er mit seinem Honeydripperschmäh nicht an, weil er nur mehr alt und dick war. Außerdem sah er mit seinem Boxergesicht aus, wie ein pensionierter Sumoringer. Bei uns herrschen andere Männerideale, aber das schien er nie zu begreifen. Big Joe Williams bekam nur die abgetakelten Huren, weil keine mit diesem präpotenten, unapettitlichen Analphabeten was zu tun haben wollte. Später stach er dem Tourleiter sein Messer in die Hand, weil die ganze Gage für Huren aufging und zur Auszahlung nichts mehr übrigblieb.
Roosevelt Sykes war in gewissem Maße kultivierter, aber seine dreckigen Witze und das Honeydrippergetue kamen nur bedingt an. Im Grazer Orpheum fand er die Toilette nicht und bewässerte einfach die Kulissen, die hinter der Bühne standen.
Dann setzte er sich zum Soundcheck an den Flügel und steckt sich eine Zigarre an. Da flattert der Hausmeister wie ein aufgeschrecktes Huhn heran und zetert etwas von Feuerschutzbestimmungen….“Bitte sagen Sie ihm, daß er auf der Bühne nicht rauchen darf. Tun Sie was, daß der zu rauchen aufhört…“ Ich erklärte Roosevelt die Feuerschutzbestimmungen und bat ihn, wenigstens die Zigarre auszumachen. „But it’s my trade-mark…“ entgegnete er. Schließlich konnte ich ihn überreden, die Zigarre nur als Attrappe im Mund zu behalten. Der Hausmeister schnaufte erleichtert und plazierte Roosevelt einen mit Wasser halb gefüllten Aschenbecher aufs Klavier….für alle Fälle.
Dann gingen wir in die Garderobe und Sykes trank Cola. Ja, er war der Erste, der nicht zuvor mit einer halben Flasche Seven Up Whiskey aufgepäppelt werden mußte, wie Big Joe Williams.
Nach den üblichen Jazzstandards kippte er sich endlich in sein Metier ein und er war wieder der alte Roosevelt Sykes, den wir von Platten kannten.
Als wir den Honeydripper verabschiedeten, war ich zum Fan auf Lebenszeit geworden. Ich wußte nicht, ob ich ihn jemals wieder sehen würde. Er gab mir handschriftlich Adresse und Telefonnummer in New Orleans und ich versprach, ihn sobald als möglich zu besuchen. Es kam nicht mehr dazu. Zwei Monate danach lernte ich meine erste Lebensgefährtin kennen und es war aus mit meinem Lebenstraum….ich bin bis heute nicht in die USA gekommen und New Orleans ist ein Trümmerhaufen.
Am 17.Juli 1983 starb Roosevelt Sykes. Seine Musik lebt in uns weiter.