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DER BLUES – STIEFKIND DER MUSIKGESCHICHTE

DER BLUES  STIEFKIND DER MUSIKGESCHICHTE

Liebe Bluesfans!

Diesmal widme ich mich einem Thema, das mich seit meinen ersten Tagen als aktiver Musiker bewegt. Der Blues als essentielle Grundlage der gesamten westlichen Musikkultur und dessen unerklärliche Unpopularität in der großen Öffentlichkeit.

Zuerst möchte ich einmal mit dem großen Irrtum, der Blues sei eine Sklavenmusik, oder aus der Gospeltradition hervorgegangen, gehörig aufräumen.

Die Ursprünge liegen wohl im Dunkeln, aber sowie der Mensch nicht von einem Erdenfleck weg stammt, ist der Blues nicht auf einer bestimmten Plantage entstanden. Bis zu Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges, der mithin auch die Befreiung der schwarzen Sklaven einleitete, gab es überhaupt keinen Blues, so wie ihn wir kennen oder zu kennen glauben. Der Besitz von Musikinstrumenten, besonders von perkussiven Instrumentarien wie Trommeln und Ähnlichem war streng verboten. Man wußte zu gut, daß damit codierte Nachrichten verbreitet werden konnten, was wieder die Gefahr schwarzer Organisation bedeuten konnte. Als die ersten Trichtergrammophone in den frühen 20ern auch den Feldarbeitern zugänglich waren, verbreiteten die weißen Bosse, daß sie jedes Wort, das über sie gesprochen wurde, durch diese Trichter hören konnten. Das führte dann zur Entwicklung des heute ausgestorbenen Double-Talks, bei dem sich die Schwarzen über scheinbar harmlose Alltäglichkeiten unterhielten, aber jeder wußte, worum es ging.

Aus den Zurufen und Feldarbeit-Gesängen, den Field-Hollers, formierte sich mit dem Selbstbau von primitiven Saiteninstrumenten, sowie mit dem Auftreten der ersten wandernden Sänger, der Blues. Anfangs konnten die Afroamerikaner mit den von Weißen benutzten Instrumenten nicht viel anfangen, denn ihr Tonsystem kannte keine Leittöne, wie wir sie z.B. für die Darstellung von Dur- und Moll Akkorden, großen Septimen und Harmoniestufen verwenden. Die frühen Blueskünstler verwendeten oft für unsere Ohren etwas dissonante Leertöne, die oft nicht zur Grundharmonie paßten. Das totale Unvermögen unserer Musikprofessoren, die sich bis in die 60er nicht in außereuropäische Tonkunst hineinversetzen konnten, sprachen den Schwarzen die Fähigkeit, formal zu musizieren, einfach ab. Die Kirche sah im gesamten Jazzkomplex eine moralische Gefahr für die Jugend. Als ich einmal in einem Buch über katholische Jugenderziehung blätterte, traute ich meinen Augen nicht, denn hier stand schwarz auf weiß, daß man junge Menschen nicht zu sehr der Jazzmusik aussetzen solle, da sie Schaden an ihrer moralischen Konsistenz nehmen könnten. Mit einem Wort, wenn man sich vom kompositorischen Korsett sogenannter Klassischer Musik befreit, um der freien Emotionalität sogenannter „Dschungelmusik“ zu frönen, war das bis in die frühen 60er der erste Schritt in die Verderbnis. Die unzähligen Filmchen der 50er, in denen sich das Jazz- und Klassiklager in den Haaren lagen, ist Legion, wobei man den germanisierten Schlagerschmarren deutscher Rock n Roll Bubis auch zur Jazzmusik zählte.


Aber nun wieder zum eigentlichen Thema.

Die einzigen Farbigen, denen man vor 1865 erlaubte, zu musizieren, waren Musiker von Salonorchestern, die darauf getrimmt waren, weiße Abendgesellschaften mit Walzermelodien zu unterhalten. Bis vor 15 Jahren wußte ich noch nicht, daß der Blues selbst unter den Schwarzen ein disreputierliches Image hat. Auf einem Diplomatenempfang goutierte man zwar mein Bluespiano, aber ich fühlte, daß der farbige Teil der Gesellschaft lieber Mozart gehört hätte.

Der Blues blieb also seit jeher auf den Bodensatz der Afro-Amerikanischen Gesellschaft beschränkt, denn auch die „Churchgoin‘ People“ wollten von dieser Teufelsmusik nichts wissen. So fristete auch zu dessen Hochblüte, der Blues ein reichlich karges Leben am Rande der Gesellschaft. Die Weißen, die sich in den 20ern dieser Volkskunst annahmen, waren mit wenigen Ausnahmen bloß Geschäftemacher, die ihren oft analphabetischen oder blinden Künstlern ihre Urheberrechte um eine Flasche Jake (billigen schlechten Fusel) abkauften oder ihnen eine Bordsteinschwalbe ins Bett legten. Blind Lemon Jefferson brachte es sogar zu einem Auto mit Chauffeur, aber es geht die Sage, daß dieser den guten Lemon in der Silvesternacht 1929 nach einer Herzattacke aus dem Wagen geworfen und davongefahren sei. Am Neujahrsmorgen 1930 fand man die Blueslegende in Chicago unter einer Schneedecke und daneben seine Gitarre. Das zur Behandlung von historischen Größen.

Bis in die 50er hatten Schwarze auf dem weißen oder internationalen Markt kaum eine Chance. Die wenigen, die ein bißchen Kohle machten, waren Waschmitteljazzer wie Nat King Cole, der mit samtiger Schmusestimme und Warmduscharragements seinen Weg durch die Nachtklubs machte. Fats Domino, der von Roosevelt Sykes während dessen Zeit in New Orleans viel lernte, pfiff auf Boogie-Woogie und verbreitete mit seinen Liedchen schwarzen Happy-Sound und Chuck Berry der die St. Louis Szene gut kannte, erstarrte in High-School Problematik, für die er eigentlich zu alt war. Während sich die ganze Welt über Elvis‘ Bühnenshow mokierte, kritisierte kein Mensch Berry’s berühmten Duck-Walk. Fats schubste mit seinem Bauchladen den Flügel von einem Eck zum andern und keiner nahm ihm das krumm. Von Schwarzen erwartete man eben eine exotische Show. Aber die wahren Typen von der Baumwollzunft hatten nie eine faire Chance.      

Elvis war wie ich, ein großer Fan der Bluesmusik, aber das durfte das breite Publikum in den 50ern nicht wissen, denn sonst hätten ihn die „braven“ Amerikaner aus Memphis gejagt. Sam Philips, der Inhaber von Sun-Records war zwar weiß, aber er liebte den Blues wie vor ihm Henry C. Speir für Paramount. Sam träumte von einem Weißen, der schwarze Musik glaubhaft vom Stapel lassen konnte. Das wäre ein Millionengeschäft, denn außer Perry Como und Frank Sinatra gab es ja nichts Aufregendes am Populärmarkt. Als Elvis entdeckt wurde, war ich neun und außerdem Tausende Meilen von Memphis entfernt. Ich weiß nicht, was Sam Philips zu mir gesagt hätte. Wahrscheinlich wäre ich ihm zu rauh gewesen, denn als ich von 1983 an ein paar Jahre Rockabilly-Music machte, war ich den Fans zu hart und schwarz. Sei’s drum.


Elvis sang drei Songs, die er sich von einem ziemlich archaisch klingenden Sänger namens Arthur „Big Boy“ Crudup abgehört hatte und schlug bereits mit seinem Debut „That’s Allright Mama“ voll ein. Hört man sich die beiden Versionen hintereinander an, so klingt Elvis ziemlich nach einem Countrysänger, der aber irgend etwas frech-erotisches in der Stimme hatte. Seine Erscheinung dazu und ein Star war geboren. Wäre Elvis bloß 1,60 und farbig gewesen, hätte er sich die Kehle in Fransen singen können und keine Sau hätte ihm eine Platte abgekauft. 

Arthur Crudup indessen starb verarmt, kinderreich und ohne in die Hall Of Fame eingegangen zu sein, doch man sagt, Elvis hätte ihm zumindest eine Plattensession finanziert. Ich war einer der größten Elvis-Fans in unserem Lande, aber ich muß dazu sagen, daß er, anstatt dümmlichen Barbiepüppchen Cadillacs zu schenken, dem alten Crudup einen sorgenfreien Lebensabend hätte bereiten können!  Was meint Ihr dazu?

So kam es, daß die Schwarzen weiter auf der Veranda Musik machten und die Las Vegas Bubis mit ihren Groupies im Champagner badeten. Mit der Bürgerrechtsbewegung war dann Schluß mit Uncle Tom. Der Blues wurde von ihren eigenen Schöpfern auf die Deponie der Musikgeschichte geworfen und mit der Motown-Bewegung ging’s dann ab, von den Supremes bis Michael Jackson und Puff Daddy.

Elvis hätte viel bewegen können, aber er schoß auf Fernsehapparate und fraß sich zu Tode, weil er mit all seinem Reichtum nichts anzufangen wußte. Ich als Fan darf das wohl offenherzig zu Papier bringen, ohne von aufgebrachten Elvis-Fanatikern gesteinigt zu werden.

Der Blues wurde zur Einlage bei Jazzkonzerten herunterstilisiert und von den Konservatoriumsabgängern milde belächelt. Lange trugen die Bluesfans den Beinamen „Alabamaferdl’n“, was die Außenseiterrolle, die wir damals hatten, treffend beschrieb.

Als 1972 mein Freund, der Boogie-Woogie Pionier Martin Pyrker im ORF auftrat, meinte der Bigbandcapo Erich Kleinschuster, daß nun ein Ausflug ins Jazzmuseum bevorstünde und man von einem jungen Talent Boogie-Woogie demonstriert bekommt. Für Musiker, denen ein Nonenakkord wie ein Lagerfeuergriff erscheint, mag das wohl nicht die richtige Musik sein, aber man muß bedenken, daß es Künstler gibt, die für diese Musik leben und ich glaube, einige junge Blueser tun das auch.

Ich dachte nicht, daß mir während des Schreibens noch so viel zu diesem Thema einfallen würde, aber es braucht mit Sicherheit noch eine Folge, um auch die Situation in unserem Land ausgiebig zu behandeln. Das meine treuen Leser will ich Euch nächste Woche ins Net stellen.

                                                                                                               Euer   AL         © Al Cook 2001