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DER WEISSE MANN UND DER BLUES

DER WEISSE MANN UND DER BLUES

© Al Cook 2001

Liebe, hochgeschätzte Bluesfans!

Ich sitze hier am Computer und weiß, daß ich in drei Stunden ein Traktat über das heikelste Thema der Bluesszene abliefern muß. Wie immer, mache ich mir kein Konzept. Denn was nicht aus dem Herzen kommt, soll man nicht in die Maschine tippen, oder über die Lippen kommen lassen.
Von dem Tage an, als ich mich entschloß, Blueskünstler zu werden, hing die Kardinalfrage die diesmal behandelt wird, wie ein Klotz an meiner Seele. KANN UND DARF EIN WEISSER MANN; DAZU NOCH EIN MITTELEUROPÄER AUS DER WALZERMETROPOLE DEN BLUES SPIELEN?

Wenn ich diese Frage nicht eindeutig und aus voller Brust mit JA beantworten könnte, hätte ich meinem Vater gefolgt und wäre Staatsbeamter geworden. Ich könnte heute als Hofrat oder Minister auf meinem pragmatisierten Hintern sitzen und Höflichkeitsbesuche in der Staatsoper abstatten.
Dem war und ist aber bis heute nicht so und ich bin mir der einzigartigen Gelegenheit bewußt, dieses Thema vor einem großen Publikum abzuhandeln.

Als ich zu meinem 50er meine Geburtstags CD „The White King Of Black Blues“ veröffentlichte, war der Titel ein Schlag in die Fresse der Bluesfaschisten. Wie kann sich dieser Klimperant, der weder schwarz, ja nicht einmal Amerikaner ist, solch einen Titel anmaßen?
Nun ja, ich durchforstete meine alten Pressekritiken und stieß auf diverse Artikel mit gleichlautender Überschrift und dachte, das wäre ein Slogan, der voll in die Eier geht. Die betriebsblinden Schlafmützen, die seit 40 Jahren ihre ewiggestrige Bluesüberlegenheit der schwarzen Rasse kolportieren, wurden aus ihrem Trott gestoßen und  mußten zwangsläufig reagieren. Welchem amerikanischen Magazin ist ein weißer Österreicher schon ein paar Quadratzentimeter Platz wert. Natürlich konnten sie meiner Musik nichts anhaben, denn 35 Jahre Bühnenerfahrung kann man nicht vom Tisch wischen. Das Einzige wo sie ansetzen konnten, war meine Nationalität und vor allem, meine Hautfarbe. „Wer nicht die richtige Färbung hat, kann sich nicht „King Of Black Blues“ nennen, höchstens „King Of Austrian Revivalists“.


Die Guten hätten meine Linertexte aufmerksamer lesen sollen. Erstens hat mir die Presse diesen Titel verliehen und zweitens habe ich es immer vermieden, mich mit Schwarzen in eine Reihe zu stellen. Es bedeutet bloß, daß ich als der beste Interpret unter den weißen Bluesmusikern gesehen wurde. Ich habe es auch immer vermieden, meine Auftritte durch farbige Künstler aufzupeppen, denn wenn ich nicht für mich selbst sprechen kann, hätte ich mich als Elvis-Imitator gewinnträchtiger verkaufen können.

Doch zurück zum Thema.
Legt man, wie es sich gehört, strenge Maßstäbe an, scheint die Gilde der Bluesrassisten zumindest an der Oberfläche recht zu haben. Doch, wie gesagt, nur an der Oberfläche.
Daß der Blues die klassische Ausdrucksform der Afro-Amerikaner ist, bleibt natürlich unbestritten. Sie haben ihn kreiert und rundherum ist alles harmonisch auf schwarz abgestimmt, denn wer würde schon ein farbiges Schrammelquartett jenseits des Alien-Effektes ernst nehmen.
Wie jeder Vergleich, hat auch dieser ein kräftiges Hinkebein und das heißt Globalisierung. Während die Volksmusik der meisten ethnischen Gruppierungen untrennbar mit den Erzeugern verwoben ist, hat der Blues durch sein Weiterleben in der frühen Rock’n’Roll Kultur eine Verbreitung ungeahnten Ausmaßes erfahren. Nahezu 90% der Bluestexte befassen sich mit Themen die nicht unbedingt ethnisch spezifizierbar sind. Daß man Probleme mit Partnerschaft, Geld, Spiel, Alkohol oder Naturkatastrophen haben kann, ist nicht auf die farbige Bevölkerung der USA beschränkt. Als der Bluesforscher Alan Lomax, der für die Kongreßbibliothek in Washington arbeitete, Blind Willie McTell fragte, ob er den nicht einen Song hätte, der schwarzen Protest zum Thema hätte, meinte dieser, er kenne keinen. „Hast du nicht soetwas wie: It’s hard to be a nigger oder ähnliches?“ Blind Willie verneinte zum zweiten Mal. Big Bill Broonzy schrieb sein „Black, Brown and White“ erst, nachdem er zur Nachtklubattraktion für weiße Jazzklubs wurde.


Das Problem mit den weißen Interpreten begann erst, als sich Musiker mit sogenannter formaler Musikausbildung an die Domäne Afro-Amerikanischer Musikkultur heranmachten. Sie mußten sich umprogrammieren. Wer die scheußlichen Boogieinterpretationen der europäischen Nachkriegsbands kennt, weiß was gemeint ist. Man kann einfach schwarze Musik nicht durch die Brille eines Konservatoriumsabgängers sehen. Wir Europäer im Besonderen neigen dazu, alles akademisch erfassen zu wollen und das geht mit der Bluesmusik einfach nicht. Wer einmal Mozart in den Mund geschoben bekommen hat, kriegt den Geschmack nie mehr los. Also, diese Leute fallen für mich aus.

Die zweite Gruppe sind diejenigen, denen die Musik gefällt, aber in der Verehrung für die alten Meister erstarren und sich dadurch jede Kreativität verbauen. Sie sind die exzellenten Handwerker, die sogar jeden Ausrutscher ihrer Idole kopieren, aber nichts zu sagen haben.
Die dritte Gruppe bilden die Zeitsoldaten, die  es sich mit Blues auf der Bühne voll besorgen, aber an die Grenzen ihres Könnens oder ihres Geldbeutels anlangend, sich dann in einer Popband oder als Statisten in einem Musical wiederfinden und mir mit dem Argument: „Oida, mi’n Bluhs moxt jo ka Koi’n“ daherkommen.

Andere bekommen den Rachen nicht voll und wechseln ebenso mit diesem Allerweltsargument die Seiten.
Die schlimmsten sind diejenigen, die einer Kuh einen Sauschädel transplantieren wollen, also die Dialektbluestypen. Ich weiß, daß ich mich hier auf gefährlichem Terrain bewege, denn ich bin selbst mit einigen befreundet. Sie werden wohl wissen was sie tun, aber ich würde ihnen raten, ihr Tun mal inversiv zu betrachten. 1977 rief mich meine Noch-Plattenfirma Bellaphon an und wollte mir einreden, eine Dialektblues LP zu machen. „Du wirst größer damit als Ambros“ tönte es aus der Muschel. Ich hatte nämlich diesen dreckigen Proletarierton in der Stimme, da ich bis Ende 1973 den Fabriksjargon ins Gehirn gehämmert bekam. Meine Lakonische Antwort war: „Würdest Du Hans Moser die Reblaus im Mississippi-Slang singen lassen?“ Damit waren meine Chancen auf eine Austropopkarriere im Anus.

Die letzten 10% der dadurch Übrigbleibenden, muß man aber nochmals durch die Lupe betrachten. Da sind diejenigen, die es wirklich ehrlich meinen, aber nicht über den Blues als bloße Musikform hinauskommen, weil sie zu der Zeit in der all das entstanden ist, wenig bis gar keine Beziehung haben.


  Das ist mit den heutigen Rock’n’Rollern dasselbe. Sie glauben, daß in den 50ern jeder mit Moped und Lederzeug unterwegs war. Als ich von 1983-86 kurz Rockabilly nebenher spielte, versuchte ich meinen Musikern vergebens mit Dokumentarfilmen diese Zeit unter die Haut zu bringen. In der Sprache des Blues heißt das, man kann Blind Lemon nicht verstehen, wenn man sich vorher mit Begeisterung Bon Jovi gibt.
Ich weiß, daß ich von den schöngeistigen Freidenkern als gnadenlos verbohrter Ayatollah der Intoleranz verteufelt werde, aber ich bin keiner von den schwarzrassistischen Bluesfaschisten, die mir vorkommen, wie einst das Rasse- und Siedlungs Hauptamt, nur daß man farbig zu sein hat.

  Am Beginn meiner Blueskarriere meinte man, es wäre besser, mich als weißes Wolfskind zu verkaufen, das von mitfühlenden Schwarzen aufgezogen worden sei, nachdem meine Eltern bei Rassenunruhen ums Leben gekommen sind. Erstens wären meine Eltern, die damals noch lebten, tot umgefallen, zweitens kannten mich zu viele als den, der ich eben war.
Das letzte Quentchen von ca. 5% kann man tatsächlich als authentisch in eigener Sache bezeichnen. Sie leben für den Blues, haben etwas zu sagen und kennen sich sehr wohl in der Bluesgeschichte aus. Wer sich dazu zählt, überlasse ich dem Blick vorm eigenen Spiegel, denn das mag sich jeder für sich ausmachen. Diesen Künstlern sind auch meine nächsten Zeilen gewidmet.


  Die Hautfarbe allein macht es nicht, denn fragt einmal einen Rapper aus Harlem, wer Robert Johnson ist. Vielleicht ein aufstrebender Baseballstar? Seht Euch einmal den Vater des Delta-Blues, Charley Patton an. Er ginge glatt als sonnengebräunter Weißer durch oder als Mexikaner. Son House sagte einmal, er habe es gehaßt, einen Mann mit einer Gitarre Blues spielen zu hören. Wäre da nicht ein Straßenmusiker gewesen, der ihm das Slide-guitar spielen beigebracht hätte, ein Gigant des Country-Blues wäre ungehört geblieben.
Roosevelt Sykes, der St.Louis Pianist par excellence sah aus wie ein kupferfarbener Japaner und sagte zu mir: „Sogar einem Chinesen kann man den Blues glauben, wenn er aus seinem Herzen kommt“.


Ich glaube, wieder für Diskussionsstoff gesorgt zu haben und verbleibe bis zum nächsten Mal.

Euer  AL COOK